Der unsichtbare Killer
Lächeln von ihm. »Gib mir eine Minute«, sagte sie mit heiserer Stimme und bewegte sich rückwärts in Richtung Badezimmer. »Und, Paresh …«
»Ja?« Er blinzelte, sein Blick war verhangen.
»Wenn ich wiederkomme, bist du besser nackt.«
Sie schloss die Tür und begann zu zählen. Als sie bei neun angekommen war, hörte sie das unmissverständliche Poltern, mit dem der bewusstlose Legionär auf dem Teppich landete.
Als sie vorsichtig einen Blick ins Schlafzimmer warf, fiel es ihr schwer, nicht eine Woge von Sympathie zu verspüren. Ihr hübsches verliebtes Jüngelchen lag ausgestreckt auf dem Boden, seine Hose hing ihm um die Knöchel.
»Tut mir leid, Süßer«, entschuldigte Angela sich bei dem Schnarchenden. Sie nahm sich einen Moment Zeit, ihre Kleidung zu glätten und sich so zu kämmen, dass sie etwas seriöser wirkte. Ihre E-I rief ein Taxi, benutzte dabei das Anti-Tracking-Modul aus Zarenes Cache. Als sie die Hotel-Lobby verließ, fuhr es gerade draußen vor.
Das Auto-Management des Taxis verlangte eine Anzahlung. Angela verschaffte sich Zugang zu einem der kleinen Notfallkonten, die Saul zwanzig Jahre zuvor in Abellia eröffnet hatte, und war zufrieden, dass sie sich immer noch an den Code erinnerte. Es waren zwar nur ein paar hundert Eurofrancs darauf, aber für die Fahrt nach Camilo Beach genügte das vollkommen.
Sie befahl dem Taxi, oben im Dorf zu warten, gleich bei der Rue du Ranelagh. Dann ging sie die sandige Straße entlang, die an den ordentlich getünchten Bungalows vorbeiführte, die spektralgrau unter dem strahlenden Ringlicht dalagen, und atmete die frische salzige Luft ein. Die Umgebung passte zu Saul, es war ein netter Ort, und zweifellos wohnten hier lauter anständige Menschen, die versuchten, ihre Familien so gut es ging durchzubringen.
Schließlich erreichte sie seinen Bungalow mit einer kleinen Veranda vor der Küche, die direkt zum Strand hinausging. Der arme alte Saul, wie verwirrt er sein würde, wenn er sie sah. Die Daten, die sie zusammenbekommen hatte, besagten, dass er eine Frau und Kinder hatte, daher betete sie, dass er nicht so dumm sein würde, ihnen von ihrem Auftauchen zu erzählen. Aber so wie sie Saul kannte, bestand durchaus die Chance, dass er genau das tat.
Sie setzte sich auf die niedrige Mauer, welche die Veranda umgab, während ihre E-I den Notfall-Code sendete.
»Wer ist da?«, fragte Saul dreißig Sekunden später.
Immerhin war im Haus noch kein Licht angegangen, also hatte er nicht völlig die Nerven verloren. Trotzdem. »Ich bin’s, Saul. Angela.«
»Aber du bist … das ist unmöglich.«
»Sie haben mich rausgelassen, damit ich als Beraterin an der Expedition teilnehme, Liebling. Ich bin offiziell auf Bewährung. Deren Auflagen ich gerade auf spektakuläre Weise gebrochen habe, um herzukommen und dich zu treffen.«
»Hier? Wo, hier?«
»Ich stehe auf deiner Veranda. Ich wollte deine Familie nicht aufwecken.«
»Heilige Scheiße – warte.«
Sie musste liebevoll lächeln, als sie sich sein angstverzerrtes Gesicht vorstellte, während er aus dem Bett glitt, ohne Emily zu wecken. Angela hatte auch ein Bild von Mrs Howard Nummer Zwei aufgetrieben – sie war ein echter Blickfang. Und auch noch jung. Saul versprühte offenbar immer noch seinen ganzen süßen Charme.
Die große Glastür glitt zur Seite, und er stolperte hinaus in die Nacht, versuchte dabei, seine Arme in einen sackartigen alten Cricket-Sweater zu schieben. Sie war schockiert, als sie ihn sah, und ihr Lächeln verschwand. Ihr Ehemann war so gealtert . Damals in Holloway, als sie Elston wiedergesehen hatte, hatte sie sich selbstgefällig über sein rundliches Gesicht erhoben, über den grauen Schleier in seinen Haaren, die sich von der Stirn immer mehr zurückzogen, über seinen schwereren Körper. Jetzt war auch ihr Saul von der gleichen Krankheit der Untätigkeit infiziert worden. Und der Gedanke war nicht mit Triumph, sondern nur mit Traurigkeit verbunden, als sie schließlich begriff, dass sie zu einem Leben bestimmt war, in dem sie immer wieder andere hinter sich würde zurücklassen müssen. Abgesehen von Rebka.
»Oh, Gott, du bist es wirklich«, krächzte Saul. »Du bist gar nicht älter geworden. Nicht einen Tag. Du bist tatsächlich eine Eins-Zu-Zehn, ja? Es stimmt also wirklich.«
Angela raffte ein gewisses Maß an Würde zusammen und schenkte ihm ein warmes Lächeln, während sie ihre Arme zu einem Willkommensgruß ausbreitete. »Hallo, Schätzchen.«
Er kam näher und
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