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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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den Verrichtungen fiel sein Blick auf ihn. Der Stein schien sich auszudehnen. Er lächelte über seine Einbildung, seine kindliche Hingabe.
Nicht zum ersten Mal fand er einen ungewöhnlich schönen Stein. Doch diesmal war es ihm, als wäre er etwas Langersehntem begegnet, einer Zufluchtstätte in der Welt der künstlichen Opale, Chrysopase, Amethyste, Turmaline, Diamanten. Das Heer der künstlichen Kristalle war fehlerlos, gigantisch, ein Optimum an Härte, Glanz und Farbe. Er ahnte hinter sich ein Meer von Masken. Er scheute sich zurückzusehen. Vorwärts, nur vorwärts.
Nach dem Start hatte er Muße, seinen Findling noch einmal liebevoll zu mustern. Er schien im Licht des Raumes zu pulsieren. Das Spiel der Schlieren in seinem Innern wogte in regelmäßigem Rhythmus.
Er streckte dem Stein die Hand entgegen. Die Kanten und Wölbungen schmiegten sich an, als wäre der Kristall ein Teil von ihm.
O’Skryllis zog die Hand zurück, fuhr sich übers Gesicht. Doch ertasteten die Fingerspitzen nichts als ein merkwürdig hartes Relief.
Verwirrt ließ er sich in den Sessel sinken. Der samtige Bezug der Lehnen war keine Täuschung. Zögernd wich seine Erregung.
Die Stunden flossen hin. O’Skryllis’ Raumschiff befand sich noch in der Zone der Asteroiden. Im Kommandantensessel sitzend, lauschte er einem Konzert.
Hinter halbgeschlossenen Lidern betrachtete er seinen Opal.
Noch nie hatte er Musik so direkt vernommen. Mit bildhafter Deutlichkeit drangen die Töne in sein Bewußtsein, füllten den Raum in ihm und um ihn.
Der Stein warf einen hellen Schatten, als sei der Tisch mit Staub bestreut. Aber es war wohl eine Täuschung seiner Augen. Eine seltsam träge Spannung umfing seine Glieder, schmerzliche Taubheit kroch über sein Gesicht. Der Blick versank in der kristallenen Tiefe, das Sein löste sich auf. Er empfand nichts mehr. Er vergaß die Welt der Menschen. Ihre durchlebten Jahrmillionen flossen in einem Augenblick zusammen; alles Zukünftige wurde gemessen nach der Schwingungsdauer eines Moleküls; die Dimension des Universums wurde ein fühlbares Gebilde. Nichts Schöneres gab es in der Unendlichkeit der Zeit als diesen Augenblick. Die Zeit gerann zum Punkt.
Er war unsterblich in dem ewigen Kristall.
Um ihn waren die Gesichter der anderen. Waren es Menschen oder sein Traum von ihnen? Ihr Willkommensgruß entflammte die Dunstigkeit um ihn blutrot. Doch nichts berührte ihn, weder ihre Samariterhände noch das Grauen hinter ihm, die Masken. Sein Körper war gefühllos und sein Geist gefangen…
Als er die Augen aufschlug, war es still um ihn. Kein Laut war zu vernehmen. Eine Traumwelt schloß ihn ein. Wohin er schaute, waren alle Gegenstände wie von einer Reifschicht überzogen, in mattes Weiß getaucht. Er schauerte zusammen, doch es war nicht kalt. Sein Blick fiel auf den Fleck, wo der Opal gelegen hatte. Er war verschwunden.
Sein Kopf ruckte herum. Da waren die vertrauten Formen, gerade noch erkennbar: der Bildschirm, die Reaktoreinheit, der Kybernet, die übrigen Kommandostellen.
Es dauerte sekundenlang, bis er in die Wirklichkeit zurückfand. Er ahnte dumpf, was jenes Grauen während seines Traumes zu bedeuten hatte. Lähmte die Angst seine Glieder? Ungläubig hetzte sein Blick durch den Raum, kreiste in immer engeren Spiralen um ihn selbst.
Bis unters Knie waren seine Beine ein weißer, glitzernder Block. Wie ein dünner Faden riß sein Atem, er würgte, röchelte, erstarrte. Die Lippen zitterten im Krampf, er schluchzte. Dann schrie er auf wie ein gefangenes Tier.
Er konnte seine Beine nicht mehr fühlen. Er kratzte an dem steinernen Belag, bis die Haut der Finger riß und Blut hervorquoll. Einen Atemzug lang beruhigte es ihn, den Schmerz zu empfinden und das warme Rinnsal Blut. Was war mit ihm geschehen? Woher war das gekommen? Der Opal! Was für eine fürchterliche Eigenschaft verbarg er in sich? Was hatte sie aktiviert? Brauchte das die Energie des Raumschiffs, um zu wachsen, sich auszudehnen? In wilder Verzweiflung schüttelte O’Skryllis den Kopf. Er riß sich wieder hoch, warf sich nach vorn. Doch erreichte er das Pult nicht mehr. Es war mitsamt der Funkanlage unter dem steinernen Reif verschwunden.
Zwei Stunden später schimmerten seine Beine bis über die Knie in opalisierendem Glanz. Die Gelenke waren steif geworden.
Weit in den Sessel zurückgedrängt, beobachtete er seine fortschreitende Versteinerung voller Ekel, wie ein aufwärts kriechendes Insekt. Vor Angst und Abscheu riß er krampfhaft seinen

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