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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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vorher wecken. Die Löschung wird bei ihm bereits vollzogen sein.«
Der Automat reagierte auf den Befehl, die Lichtspirale hörte auf zu kreisen.
Der Junge erwachte. Er erhob sich elastisch, lächelte. Die Eltern atmeten auf.
»Nun«, sagte die Mutter, »wie fühlst du dich?«
»Es geht mir ausgezeichnet«, erwiderte der Sohn. »Meine Gedanken sind mein.«
Die Formel beruhigte die Eltern vollends.
»Es ist nichts zurückgeblieben?« fragte der Vater.
»Was meinst du?«
»Nichts, nichts«, beeilten sich die Eltern zu sagen. »Wir wollen nicht darüber sprechen. Es wäre gegengut.«
»Ihr meint O’Skryllis?«
Die Eltern nickten schweigend. Sie wollten ihm nicht mehr mitteilen, als er vielleicht noch wußte. Eine minimale Nachbehandlung würde auch den Rest löschen.
»Ich habe mich gegen den Parseliten aufgelehnt und gegen den Hypsychosator.« Der Knabe lächelte. »Ich habe mir die Erinnerung an O’Skryllis nicht nehmen lassen.«
Die Mutter wollte auf ihn zueilen, doch der Mann hielt sie mit einer Handbewegung auf. Ein Schluchzen stieg ihr in die Kehle. »Er lebt in dir weiter. Du mußt ihn in dir abtöten, sonst wirst du er, ein lebendes Fossil.«
»Es wäre dein Untergang«, sagte der Vater. »Geh in den Hypnonder.«
»Begreift doch«, rief der Knabe heftig, »ich will ich bleiben!«
Die Frau flüchtete in die Anne ihres Gatten. Sie betrachtete den Sohn wie einen Toten.

Der unsichtbare Kreis
    Die Erde war in eine unergründliche Tiefe gestürzt. Es schien, als wollte sie nie wieder aus dem lichtlosen Abgrund seiner Erinnerung emportauchen. Wochenlang lag sie begraben unter schwarzen Wassern, war sie verzehrt von düsteren Flammen. Erst hier auf dem Mars entsann er sich wieder seiner Herkunft und seines Ziels.
    Wozu das alles, fragte sich Djagganaut, wozu?
Wie im Schlaf nahm er die Zwischenlandung wahr, begegnete Menschen, die ihm bekannt vorkamen. Hatte sich die Stadt verändert? Ihre Geräusche waren nichtssagend, ihre Farben verwischten vor seinem Auge zu einem Ton.
Die Einbildung eines Geruchs drang an die Oberfläche seines Bewußtseins, weckte wehmütiges Mitleid. In seiner Kehle formte sich ein schroffer Laut, der wie etwas Bitteres auf der Zunge liegenblieb.
Hier war er Keméle zum ersten Mal begegnet. In jener ersten Sekunde hatte er nur ihren Schatten wahrgenommen, ihre Silhouette.
Djagganaut starrte in die blasse Sonne, bis die Augen schmerzten. Er schloß die Lider und empfand die Dunkelheit wohltuend, wie die Erlösung von allem Schmerz, von aller Täuschung.
Ihre Begegnung damals hatte ihn überrascht. Sie war etwas für ihn Unbegreifliches. Plötzlich und unerwartet standen sie sich gegenüber, berührten sich wie etwas Langentbehrtes, zweifelnd, dürstend. Und doch zögerte er in jener ersten Sekunde aus Angst vor seiner eigenen, kommenden Hilflosigkeit.
Sehr wahrscheinlich hatte die Stadt sich seither nicht verändert. Trotzdem, ungewiß blieb, ob die Geometrie der Parks nicht neu erdacht war, ob nicht mehr Wolken über den künstlichen Himmel zogen, ob man das Simulationsmodell optimiert hatte. Einbildungen! Das Wetter war verbannt, verschollen wie alles Vertraute.
Nur der Geruch verfolgte ihn, wuchs wild wuchernd um ihn auf wie Gestrüpp. Ein Lächeln enteiste seine blutleeren Lippen. Er selbst hatte ihn eingeschleppt, an den Schuhsohlen, in den Taschen, hinter dem Barthaar, unter dem Kragen. Er umschlang seine Füße, hängte sich an seinen Rücken, weckte Sehnsucht.
Es war ihr Geruch, ihr Atem, der Duft ihres Haares, der ihn verfolgte wie ein behendes Wesen, das keinen Weg braucht und kein Licht.
Kurz vor seiner Abreise von der Erde waren sie sich noch einmal begegnet. Er wußte nicht, daß sie zu dieser Zeit in der Stadt inmitten einer Menge von Menschen auftauchen würde. Ihr auszuweichen erschien ihm wie Feigheit. Er zog die Schwäche vor.
Sie war magerer geworden. Das Nichts ihrer Taille betonte die Hüften, die Wangenbögen stachen vor. Sparsame Schminke verbarg nicht die Schatten unter ihren Augen. Welkheit unter müden Blüten.
Mit einer Sicherheit, die ihm neu war, und ohne schmerzliches Bedauern sprach sie über sich, lächelte wie früher. Erstmalig glaubte er, sie unverstellt, in völliger Offenheit und Hingabe an sich selbst zu erleben. Der verletzte Zug war aus ihrem Gesicht verschwunden, die Abwehr. Erstaunt nahm er seinerseits wahr, es gab keinen Grund mehr, in sie zu dringen, ihr verschwiegenes Antlitz aufzubrechen, das ihm als Antwort nicht ausreichte.
Wer bist du?
Sieh in

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