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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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mein Gesicht!
Er beschied sich mit dem, was sie von sich erzählte. Ihre Äußerungen klangen bestimmt und ungehemmt. Er lauschte schweigend ihren Worten, und es schien ihm, als erführe er in den wenigen Augenblicken mehr über sie als in den Jahren ihrer Gemeinsamkeit.
Sie rückte nicht ab, als er den Arm um sie legte, wurde nicht hölzern und undurchdringlich wie in der Zeit vor ihrer Trennung.
Er berichtete unwesentliche Dinge aus seinem neuen Leben, die ihr keinen Platz mehr einräumten, verschwieg ihr, daß er fortgehen würde. Sie hatte kein Recht, die Schwäche in ihm zu ahnen.
Als sie Abschied nahmen, glaubte er, sie getäuscht zu haben. Wortlos gingen sie auseinander. Sie wollten den schönen Leichnam nicht zerstückeln. Er fürchtete sich vor der Rückenansicht, vor dem langsamen Entschwinden, drehte sich nicht um und floh an spiegelnden Schaufensterscheiben entlang, die ihm höhnend das Entschwundene in den Weg zu stellen suchten.
Sie blieb stehen, bis die Menge der Vorübereilenden ihn wegschwemmte, wartete, daß ihn die Flut noch einmal hochspüle, grau, schmalrückig wie ein Fisch.
    Ziellos streunte er durch die Marsmetropole, wie ein Tier der Witterung folgend, drehte sich im Kreise. Dieser Geruch verströmte Morgenkühle, einen Hauch von Wetter, der sich mit ihm hierher verirrt hatte.
    Als die achtundvierzig Stunden der Zwischenlandung vergangen waren, fühlte er sich erleichtert.
Mit dem Betreten des Raumschiffs glaubte er eine Grenze zu überwinden: Hier fand er eine Welt feststehender Dimensionen, Sicherheit. Hier gab es kein Versagen, hier strebte menschliches Unvermögen, der Perfektion des Kreuzers standzuhalten.
Willig ließ sich Djagganaut vom Fluidum des Giganten gefangennehmen. Vor dieser ins Millionenfache potenzierten Macht des Menschen erschien alles andere bedeutungslos.
Eine unbekannte Kraft übertrug sich auf ihn, überwog die Schwäche wie ein Rausch. Es war mehr, als das Vertraute nur zu spüren. Er konnte dem befehlen, und es gehorchte, es funktionierte.
Die Oberfläche des Mars entschwand. Unvorstellbar, daß dies den Anfang der Unendlichkeit darstellte.
Djagganaut schnallte sich los, erhob sich. Er wußte keinen Grund. Ebensogut hätte er liegenbleiben können. An der Tür stockte er, doch rechtzeitig fiel ihm ein, daß es Zeit zum Abendessen war. Er stellte das gleichgültig fest. Nichts Weiteres als die Notwendigkeit bewog ihn, die Gemeinsamkeit der anderen aufzusuchen.
Er kam als einer der letzten, nahm unauffällig und schweigend Platz, nickte den Nächstsitzenden zu. Ruhig, ohne auf seine Umgebung zu achten, aß er. Um ihn, zwischen Wortfetzen, fuhr Gelächter auf. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, äußerte er sich knapp, kaum daß er den Kopf hob.
Die letzte Etappe der Reise hatte begonnen. Noch drei Wochen bis zur Landung auf Neptun. Sie sollten die Besatzung der Station ablösen. Zwei Jahre Arbeit in der Einsamkeit, fern jeder Äußerung menschlichen Lebens. Kein anderer Zwang existierte als ihr eigener Wille. Warum auch immer, nur er hatte sie hierhergeführt.
Djagganaut lächelte.
Geld, Ruhm, wissenschaftlicher Ehrgeiz? Mit der Zeit würden sie es voreinander erfahren, einem Mechanismus unterliegend, gegen den niemand gefeit war. Djagganaut schätzte die Möglichkeiten ab, sich herauszureden. Am glaubwürdigsten erschien ihm die letzte Variante. Wissenschaftlicher Fanatismus, das würden sie ihm glauben, wenigstens ein paar Monate. Dann würde er sich, der Aufmerksamkeit müde, in Widersprüche verwickeln. Sie würden beginnen zu ahnen. Für ihr Mitleid wie für ihre Verachtung empfand er die nämliche Gleichgültigkeit, und seine Heiterkeit vertiefte sich.
»Seht«, sagte Pink, »er lächelt.«
Stroganoff hob sein Glas. »Auf Djagganauts erstes Lächeln!«
Djagganaut trank. Er verzieh Stroganoff die Frotzelei. Seitdem sie das Raumschiff betreten hatten, konnte Djagganaut das Gefühl nicht loswerden, er müsse sein Terrain gegen den anderen verteidigen. Trotzdem bereitete es ihm ein geheimes Vergnügen, das mit der Scheu vor dem Alten konkurrierte. Nicht bewußt, doch konsequent wich er der Frage aus, woher diese gegensätzlichen Regungen kamen. Er ahnte, die Antwort würde ihn beunruhigen.
Manchmal drängten sich ihm Vergleiche auf. Wie ein Schiedsrichter hakte er erfüllte Pflichten ab, summierte Punkte. Das Verfahren hinkte. Was wußte er schon von Stroganoffs Leben? Er redete sich damit heraus, daß es ja nur ein Spiel wäre, und rechnete mit verbissenem Eifer

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