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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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die finstersten Winkel der Dinge. Wenn es sein mußte, kroch ich in die engsten Spalten, deformierte mich wie ein Wurm, um noch in das letzte Loch zu schlüpfen. Es hatte von mir Besitz ergriffen, und ich konnte mich nicht dagegen wehren.«
»Und?« fragte Stroganoff unbeeindruckt. »Du selbst?«
Da Djagganaut schwieg, fuhr er fort: »Es klingt größenwahnverdächtig, aber meine Person war mir immer der interessanteste Gegenstand. Bei allem, was ich unternahm, schenkte ich mir selbst größte Aufmerksamkeit.« Er lachte, als gäbe es nichts Fröhlicheres auf der Welt außer ihm und seinem eigensinnigen Glauben.
»Sorgst du dich nicht um die verlorenen Jahre, um die Zeit, die du irgendeinem Wahn geopfert hast?«
Stroganoff stieß den Fuß in den Sand. Er kontrollierte die Geste mit den Augen, kritisch, scharf, wie anderen gegenüber.
»Ich bereue nichts. Vielleicht wäre ich ein großer Genetiker geworden, einer von den ganz Großen. Ich weiß«, er lächelte, als wollte er sich entschuldigen, »man behauptet es auch so von mir. Aber womit hätte ich das bezahlt?«
»Bezahlt? Was meinst du damit? Das ist doch eine Phrase.«
»Man bezahlt jede Maßlosigkeit. Ich würde nicht einmal wissen, wie hoch der Preis ist.«
»Findest du das so beunruhigend?«
Sie gingen ohne Eile durch den abendlichen Regen. Der Wind wühlte Modergeruch auf. Sehnsüchtig sog ihn Djagganaut ein. Nichts, was er suchte, nichts, was Erinnerungen weckte.
»Was meinst du, wie hoch darf der Preis sein?«
»Ich kann es dir nicht sagen«, erwiderte Stroganoff hilflos.
»Du willst es nicht.«
»Er ist so verschieden wie Fingerprints. Niemand kann…«
»Das Glück jedes einzelnen ist gesellschaftlich determiniert. Willst du das leugnen?«
»Nein.« Stroganoffs freundlicher Spott verlieh dem Wort ein Gewicht, mit welchem es Djagganauts Papierwände durchschlug.
»Wir haben eine Verantwortung«, sagte er.
Stroganoff blinzelte. »Dann verstehe ich nicht, warum du hier bist. Geld ist es nicht. Ruhm und Ehre unter dem Banner der Wissenschaft?« Er bewegte abschätzend den Kopf. »Nein, nein.« Seine Augen verschwanden hinter mageren Falten. Seine Heiterkeit versickerte, und er betrachtete Djagganaut ernst. »Das paßt nicht zu deinem Leben. So ein Abenteuer ist nichts für dich. Du kalkulierst. Du tust nichts, ohne vorher abzuwägen, ob du dem gewachsen bist. Es sei denn… Nicht wahr, es steckt eine Frau dahinter.«
Djagganaut hatte die Frage geahnt. Er machte sich nicht die Mühe, krampfhaft zu lächeln. »Ich habe ein Leben im Gleichmaß zugebracht. Es ist ganz natürlich, daß ich mich nun nach Abwechslung sehne.«
»Du bist nicht der Typ dafür.«
»Woher willst du das wissen? Du kennst mich kaum.« »Warum streitest du?«
Djagganaut hätte Aggressivität erwartet statt Verständnis, höhnische Siegesgewißheit, nicht Deprimiertheit.
»Nein, wirklich«, sagte er, »du irrst dich. Keine Frau. Das wäre doch lächerlich für einen erwachsenen Menschen.«
»Findest du?«
Als sie sich verabschiedeten, bemerkte Stroganoff: »Du solltest auf dich achtgeben. Außerdem ist es gar nicht so schwer, nicht feige zu sein.«
    Die Landung auf dem Neptun verlief ohne Zwischenfall. Die abgelöste Besatzung bereitete der neuen einen begeisterten Empfang. Es wurde ein richtiges Fest. Ohne eigene Aktivität geriet Djagganaut an eine zierliche Brünette. Er trank etwas zuviel, ließ sich zu ausgelassenem Gelächter verleiten, flüsterte ihr berauscht Unsinn ins Ohr. Er fand es nicht fade, daß sie zusammen schliefen. Sie waren beide ein bißchen verliebt. Auch am Morgen blieb er dabei, es sei eine wunderbare Nacht gewesen trotz weinseliger Erinnerungen.
    Die ersten Tage waren voller überwältigender Eindrücke. Ein in tödlicher Kälte erstarrter Planet. Schneefelder aus Ammoniak und Kohlendioxid, die in der Ferne immer dunkler wurden, violett, schwarz, schwarzviolett, und kein Ende fanden, sich hochkrümmten zu einer undurchdringlichen Mauer, höher und noch höher, bis sie sich in der Unendlichkeit über ihm schloß. Er war gefangen, allein, und er füllte ebendiesen Raum aus; für nichts anderes blieb mehr Platz. Djagganaut atmete auf. Die vermeintliche Gefangenschaft war Freiheit. Er genoß sie, in sich versunken, aufgelöst in eine stille Ekstase. So weit weg war die Erde, daß es seine Vorstellungskraft überstieg. Alles, was mit ihr zusammenhing, glitt in einen irrealen Bereich, alles, was ihn an sie erinnerte, Bäume, Steine, Menschen.
    Wer bist du?
Hinter dem

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