Der unsichtbare Kreis
Generation zur Verfügung. Darüber hinaus hatte er während jeden Arbeitstages einen Kontrollgang zu den Meßeinheiten zu absolvieren, die außerhalb der Station verschiedene atmosphärische und astronomische Größen aufzeichneten.
Bereits am zweiten Tag hatte er sich so weit eingearbeitet, daß ihn die Verrichtungen kaum belasteten. Die meiste Zeit war er sich selbst überlassen. Er unternahm ausgedehnte Spaziergänge über das Plateau, ergriff als Souverän Besitz von dem kleinen Reich weniger Quadratkilometer. Seine Untertanen waren die Automaten der Station und die Arbeitsroboter der geologischen Einheit, die am entgegengesetzten Ende des Plateaus eine Tiefbohrung niederbrachten.
In der folgenden Nacht schlief er unruhig. Gegen Morgen begannen ihn Kopfschmerzen zu quälen. Er befand sich in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen. Matt und widerwillig erhob er sich schließlich. Um die Mittagszeit verschlimmerte sich sein Zustand. Er glaubte Stimmen zu hören, von geisterhafter Musik begleitet. Mitunter huschten Bilder an ihm vorbei, die er nicht deuten konnte. Er bekam Schweißausbrüche. Die eingenommenen Medikamente halfen nicht. Plötzlich, am späten Nachmittag, war es vorbei. Nur eine gewisse Taubheit der Glieder sowie ein Hang zur Entschlußlosigkeit blieben. Als er sich im Spiegel betrachtete, bemerkte er Ringe unter seinen Augen.
Am Abend meldete sich Stroganoff.
Es fiel Djagganaut schwer, blendende Laune vorzugeben. Sein Lachen fiel gequält aus. Hin und wieder zuckte er zusammen, als erwarte er einen Schlag ins Genick. Er versuchte die Schlaffheit seiner Glieder durch übertriebene Vitalität zu kaschieren.
Stroganoff musterte ihn aus wachsamen Augen. »Es war nicht gut, dich allein zu lassen.«
»Es geht mir ausgezeichnet.«
»Du spielst mir was vor.«
»Wer könnte dir etwas vormachen?« Djagganaut bemühte einen krampfigen Spott.
Stroganoff ging nicht auf den Ton ein.
»Die Einsamkeit macht dich fertig.«
Djagganaut schüttelte störrisch den Schädel. »Es ist genau das, was ich brauche. Ich komme sehr gut mit ihr zurecht.«
»Du wirkst irgendwie verstört. Hast du – Angst?«
Djagganaut schnipste mit den Fingern. »Herrgott, geh mir nicht auf die Nerven.«
»Bist du krank?« Stroganoff kniff die Augen zusammen. »Sollen wir dich ablösen?«
»Unsinn«, sagte Djagganaut gereizt. »Erzähl nicht solchen Unsinn. Ich fühle mich blendend.«
Stroganoff nickte ruhig. »Wie du willst. Ich bin nicht deine Amme.«
Das Gespräch hinterließ einen Mißton. Den ganzen Abend erfüllte ihn Unruhe. Mehrfach drängte er den Wunsch zurück, anzurufen, um das Mißverständnis zu klären. Er wußte nicht, was er hätte sagen sollen. Stundenlang lief er wie im Fieber durch die Station, erfolglos bemüht, sich abzulenken. Seit der Trennung von Keméle hatte er sich nicht so zerrissen gefühlt. Hinzu kam der merkwürdige Zustand. Er hatte das Gefühl, nicht mehr sich selbst zu gehören.
Mitten in der Nacht schreckte er aus dem Schlaf. Er meinte eine Stimme vernommen zu haben. Begannen die Halluzinationen von neuem? Er fühlte sich noch immer matt, aber der Rauschzustand war verschwunden. Er konnte frei denken.
Seine Hand tastete über das Schaltbrett. Die Außenwand der Kabine wurde transparent. Das fahle Licht der Sonne erhellte den Raum zur Dämmerung. Die Landschaft mutete unwirklich an, traumhaft. Djagganaut starrte hinaus. Um die Sonnenscheibe war der Himmel grüngrau, vertiefte sich gegen den Horizont zu dunklem Violett, fast schwarz. Die Grenze zwischen Unten und Oben lag jenseits des Sichtbaren; nichts hielt seinen Blick auf; die Atmosphäre war klar wie ein Diamant. Wie das letzte Stück vor der Unendlichkeit wirkte die weiße Ebene tief unter ihm. Er schauerte zusammen. Vom Wind aufgestöberte Kristalle täuschten Bewegung vor, einen geisterhaften Tanz. Die Schleier kamen näher, legten sich wie ein Hauch über ihn, erstickten seine Blicke, seine Gedanken, nicht seine Sehnsucht.
Der Schnee wirbelte heftiger, kreisend, sinkend, auferstehend. Nach irdischem Zeitmaß war es vier Uhr morgens.
Djagganaut preßte die heiße Stirn gegen die Wand. Zwischen den zuckenden Schatten entstand eine rhythmische Bewegung. Eine dunkle Silhouette hob sich gegen den Hintergrund ab.
Einer der Servo-Roboter? Das war außerhalb der Ordnung. Was mochte ihn veranlaßt haben, die Einheit zu verlassen? Er hätte über Funk Kontakt aufnehmen müssen. Djagganaut stützte sich mit den Händen gegen die transparente Wand und
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