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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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beobachtete den Näherkommenden. Zweifel stiegen in ihm auf. Die Kontur war nicht die eines Servo-Automaten. Ein Mensch im Raumanzug? Unmöglich.
Unbeirrt verfolgte der da draußen seinen Weg. Ohne wegzusehen, koppelte Djagganaut mit dem Funkgerät in der Zentrale und rief den Unbekannten. Keine Antwort. Er kam näher. Es schien sich um eine kindlich schlanke, fast zierliche Person zu handeln, um deren Kopf ein länglicher, unsteter Schatten wehte. Was war das nur?
Djagganaut schaltete die Außenscheinwerfer ein. Bläulich blitzten Myriaden Schneekristalle auf. Er wollte schreien, doch die Stimme versagte.
Ein Mensch ohne Raumanzug bewegte sich auf die Station zu. Er konnte ihn deutlich ausmachen. Es war eine Frau.
Der Methanwind ließ wellend dunkle Haare um ihren Kopf wehen. Sie trug ein langes, schmuckloses Kleid. Es erinnerte ihn an jemanden. Die Frau kam näher. Ihre Füße versanken im Ammoniakschnee. Schrittweise wich Djagganaut zurück, bis ihn die Wand in seinem Rücken aufhielt. Dicht vor dem Fenster blieb sie stehen. Es war – Keméle.
In ihren Zügen lag jener Ausdruck, den er nie hatte deuten können, das liebliche Bild einer Landschaft hinter zersprungenem Glas.
»Nein«, flüsterte Djagganaut, »nein. Du bist ein Traum. Geh, geh, geh.« Er schlug die Hände ins Gesicht, spürte den Schmerz und schrie: »Geh!« Er schluchzte, Kinn und Mund verzerrten sich im Krampf, unartikuliert quollen Worte aus ihm, unverständliches Gestammel. Er riß die Hände weg, starrte auf das Fenster. Draußen stand reglos Keméle. Sie bewegte die Lippen.
Seine Hand klammerte sich an die Schalttafel. Über die Außenmikrofone vernahm er durch das Heulen des Windes ihre Stimme.
»Willst du mich einlassen?«
Er erstarrte wie ein Tier, das die Gefahr täuschen will. Ich bin wahnsinnig geworden, dachte er, Stroganoff hat recht.
Die Bewußtheit des Gedankens ließ ihn zögern. Vermochte ein Irrer logisch zu denken? Aber wo war hier die Vernunft? Er sah einen ungeschützten Menschen in der eisigen Kälte, umgeben von tödlicher Atmosphäre.
»Laß mich ein. Wir müssen miteinander reden!«
Es war ihre Stimme.
Sein Finger drückte so heftig auf die Taste, daß der Nagel einriß. Der Schmerz beruhigte ihn ein wenig.
»Willst du mich einlassen?« wiederholte der Speicher ihre Worte. »Laß mich ein. Wir müssen miteinander sprechen!«
Er hörte sich das noch zweimal an, dann hob er entschlossen den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. Er nickte mit steifen Halsmuskeln. Sie wandte sich ab und verschwand aus seinem Blickfeld. Woher wußte sie, wo die Hauptschleuse lag? Eingemauert in ein Nichts, von der Einbildung überwältigt, körperlos zu sein, packte er seinen Schädel, zerrte daran, lachte keuchend. Seine Arme fielen herab. Wie ein vom Tode Verfolgter taumelte er zur Zentrale, stieß gegen Vorsprünge und Kanten, den Schmerz nicht wahrnehmend.
Die Schleuse war noch geschlossen. Sein Blick pendelte hin und her zwischen dem Bildschirm und dem Manometer. Dann glomm das grüne Licht auf. Das äußere Schott öffnete sich.
Keméle trat mit ruhigen Bewegungen ein. Sie wartete reglos, bis der Raum mit Luft gefüllt war. Eine Schicht aus Rauhreif bedeckte sie einen Moment, bis sie sich erwärmte.
Als sich die innere Tür zurückschob, betrat sie den Gang mit einer Sicherheit, als wäre sie hier zu Hause. Ihr Schritt war graziös, der Schwung der Hüften unauffällig. Seine Augen folgten ihren Beinen. Diese Sandalen hatte sie getragen, als sie sich kurz vor seinem Abflug von der Erde zufällig begegneten.
Mit einem Ruck wandte er sich um, riß die Tür der Zentrale auf.
Sie standen sich gegenüber, sekundenlang.
»Wer bist du?«
»Wir dachten, du würdest mich erkennen.«
»Keméle?« Ihr Name kreiste in ihm wie ein Echo.
»Bin ich dir unangenehm?«
Er starrte sie an. Ein Lachen ohne Anfang und Ende ließ seinen Körper vibrieren. Es lauerte noch in ihm, als er böse sagte: »Treibst du Scherze mit mir? Verschwinde! Geh dahin, woher du gekommen bist. Du bist ein Truggebilde.«
»Liebst du mich denn nicht?« Ihre Frage klang ehrlich und naiv. Keméle aber war nie naiv gewesen.
In panischem Unverständnis schüttelte er den Kopf. »Hör auf, ich bitte dich. Quäle mich nicht.«
»Ist uns ein Fehler unterlaufen? Ich sollte dich nicht erschrecken.«
»Was bist du?« flüsterte er. »Ein Gespenst?«
Sie lachte. »Seit wann glaubst du an Gespenster? Ein nüchterner Mensch wie du!«
In seinem Blick lag ein Anflug von Entsetzen und Erstaunen. »Ein

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