Der unsichtbare Kreis
verwirrte, den er dennoch liebte. »Du bist nicht anders. Wir kennen dein Bewußtsein und dein Unterbewußtsein.«
»Ihr habt keinen Vergleich.«
»Dein Unterbewußtsein weiß, daß du dich in den Toleranzgrenzen menschlicher Individualität befindest.«
»Lächerlich. Ihr habt kein Recht, das einzuschätzen.«
»Dein Unterbewußtsein war dir nie offen. Wir wissen Dinge über deine Welt, die du nur ahnst. Du schenkst diesen Ahnungen keine Beachtung, du redest dir ein, bewußt zu handeln, aber damit widersprichst du deiner natürlichen Bestimmung. Nur das Unbewußte ist objektiv.«
Ihre Hand lag auf seinem Arm. Es war Keméles Haltung, ihr sanfter, zärtlicher Druck. »Das allerdings ist einer eurer Widersprüche, Hemmnis und Anregung zugleich.«
Ihre Stimme hatte all das Vertraute, selbst Andeutungen von Gesten. Nein, das war kein Monstrum einer phantastischen Welt. Doch die Vorstellung umklammerte schmerzhaft seine Gedanken.
Er strich über die zarte Wölbung der zum Hals aufsteigenden Linien. Seine Hände umschlossen ihr Gesicht. Sie folgte ihnen willig. Ihre Lippen waren weich und kräftig. Er spürte die Zähne über seine Haut gleiten. Der Biß war verhalten und wild, an der gewohnten Stelle.
»Warum tust du das?«
»Ich weiß, du erwartest es.«
»Aber du bist nicht Keméle.«
»Ich bin das, was deine Vorstellung von ihr erwartet.«
»Es ist ein Betrug«, murmelte er.
Sie schmiegte sich an ihn. Er küßte sie, schloß die Arme fest um ihren Körper. Sein Herz pochte. Er gab sich ganz dem Taumel des Moments hin.
Ihr Gesicht erschien ihm verklärt, die Harmonie ihrer Züge überstieg das Maß irdischer Schönheit. Wo war die unruhvolle Spannung, die Keméle stets beherrschte. Ihr Abbild wirkte filigran wie eine seltene Kostbarkeit. Gewaltsam riß er sich von ihr los. In jeder Faser seines Körpers spürte er den Schmerz der unaufhaltsamen Trennung.
»Mein Auftrag ist erfüllt«, bemerkte sie. »Ich könnte gehen.« Er fuhr zurück, als sollte er einen Schlag erhalten. Sein Gesicht erstarrte zu einer steinernen Grimasse. Wie hatte er sich nur narren lassen können. Die mühsam bewahrte Haltung entglitt ihm.
»Noch nicht! Wir haben kein Wort über deine Welt gesprochen. Du mußt mir viel erzählen, du mußt…«
»Wir werden weiterfliegen zur Erde. Wenn du es für richtig hältst, melde uns an.«
»Das glaubt mir kein Mensch!« rief er. »Ich muß mehr von euch wissen. Wie sieht sie aus, eure Welt? Kennt ihr Liebe, Haß, Verantwortung, seid ihr mutig, ängstlich? Wer bist du, was versteckst du vor mir, Keméle!« Erschrocken hielt er inne.
Sie lächelte, und er dachte, lächelt sie wirklich, kann man das lernen?
»Ich habe noch ein wenig Zeit und will versuchen, deine Fragen so anschaulich wie möglich zu beantworten. Wenn es mir gelingt, wird vielleicht vieles einfacher sein.«
Manches von dem, was sie ihm mitteilen wollte, blieb abstrakt. Vorstellbar war nur die materielle Welt der Meeriniden, eine Steinwüste, deren Temperaturen am Tag auf mehr als 200 Grad anstieg und in der Nacht auf minus 100 sank. Kaum wesentlich eine dünne Atmosphäre aus Kohlendioxid, Methan, Wasserstoff. Trotz allem wucherte eine artenreiche Fauna und Flora.
Djagganaut gelang es nicht, Aufbau und Zusammensetzung des Elektrolytikums dieser Organismen zu ergründen. Wasser konnte es nicht sein. Offensichtlich bestand es aus einer komplizierten, vielleicht organischen Verbindung. Wollte Keméle sie nicht deutlicher beschreiben, oder war sie dazu nicht in der Lage?
Sie sprach über die soziale Struktur, den Erkenntnisstand auf wissenschaftlichem Gebiet, die geschichtliche Entwicklung. Djagganaut vermochte dem lediglich zu entnehmen, daß bei ihnen mehrere Personen in permanenter Symbiose zusammen lebten, wobei ihre Gehirne funktional fusionierten, obwohl der einzelne erhalten blieb und jederzeit zu einer anderen Gemeinschaft hinüberwechseln konnte. Über die Art ihrer Vermehrung vermochte er ebensowenig zu erfahren wie über ihre Morphologie. Aus einigen ihrer Äußerungen reimte er sich zusammen, daß sie sich wahrscheinlich durch Zell- sowie Körperteilung fortpflanzten. Das Geschlecht war bei ihnen nicht in diesem Sinne definiert.
Die Regierung der Meeriniden bestand aus einem Organismus, dessen Zusammenschluß einem komplizierten Mechanismus gehorchte. In diesem Fall verlor der Auserwählte seine Individualität und konnte sich auch nicht wieder herauslösen, ohne abzusterben. Die Erzeugung eines Oberhauptes schien eine beträchtliche
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