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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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nicht allzu sehr, und es war noch nicht so kalt, dass der Fluss zugefroren wäre. Ohne einen Motor, um gegen die Strömung anzukämpfen, dauerte die Überfahrt allerdings viel länger als sonst. Es war bereits später Nachmittag, als sie endlich am Hafen in der Nähe der Anlegestelle Morristown an Land gingen. Der sonst viel befahrene Fluss lag vollkommen still. Kein Skiff oder Segelboot, keine Frachtschiffe oder Schleppkähne.
    Eines hatte Hjerold jedoch vergessen: dass sie auch zu Fuß in die Stadt würden laufen müssen. Glücklicherweise trafen sie schon nach wenigen Minuten Fußmarsch auf ein Pferd, das auf einem Feld in der Nähe einiger Industriegebäude umherlief und nach Gras suchte. An einigen Stellen hatten die hoch aufragenden Gebäude den Schnee ferngehalten. Es war kleiner als die meisten Pferde, die Meredith kannte, und von einer merkwürdigen, gelb gesprenkelten Farbe. Außerdem hatte es unwahrscheinlich kurze Beine. Aber ein Pferd war ein Pferd und ein langer Fußmarsch eine Schinderei. Sie näherten sich dem sanftmütigen Tier und stiegen auf, Hjerold zuvorderst. Er versetzte dem Tier einen leichten Stoß in die Flanken und schnalzte mit der Zunge, doch das Pferd rührte sich nicht. Er trat härter zu und gab dem Pferd einen Klaps auf die Schulterblätter. Nichts tat sich.
    Meredith hatte sich bereits mit Blasen an den Füßen abgefunden und stieg ab, als Hjerold mit den Fingern schnipste.
    »Ich hab’s.«
    Er packte die Ohren des Pferdes und riss sie nach hinten, während er gleichzeitig seine Beine ausstreckte und ihm in die Genitalien trat. Unversehens gab das Pferd ein Schnauben von sich und schoss die Straße hinunter, wie aus einer Kanone gefeuert.
    Meredith, die gerade noch aufspringen konnte, klammerte sich fester an Hjerold. »Hjerold«, keuchte sie ungläubig, »was zur Hölle hast du gemacht?«
    »Ich habe begriffen, Reedy«, erklärte er grinsend.
    »Was hast du begriffen?«
    »Das ist kein Pferd«, sagte Hjerold, »das ist eine Honda.«
    Sie fuhren bequem mit etwa sechzig Stundenkilometern, und Hjerold lenkte das vierbeinige Motorrad auf die Autobahn in Richtung Ottawa.
     

     
    Es dauerte etwa zwei Stunden, bis sie in der Stadt waren. Nachdem sie Honda in einem Park angebunden hatten (wo er etwas Gras fressen konnte, während sie sich um ihre Angelegenheiten kümmerten), legten sie den Rest des Weges zu den Büros der Daily Sun zu Fuß zurück. Erst als sie angelangt waren, wurde ihnen bewusst, dass sich außer ihnen niemand auf den Straßen befand. Sie waren vollkommen leer.
    Als sie vor der Eingangshalle der Sun stehen blieben, fiel ihnen auf, dass sie von Hondas ununterbrochenem Knattern taub waren (er hatte nur 140 Kubik und war schrecklich laut, wofür er nichts konnte). Deshalb hatten sie nicht gemerkt, dass die Abwesenheit jeglichen Lebens sich in der Abwesenheit jeglicher Geräusche widerspiegelte. Selbst wenn man die Geräusche von Maschinen unberücksichtigt ließ, die nicht mehr funktionierten (oder eine Verwandlung durchgemacht hatten), hätte es dennoch einige Schallwellen geben müssen, die hin und her schwangen.
    Meredith wollte gerade zu einer Bemerkung über die seltsame Stille ansetzen, als Hjerold eine Hand hochhielt und sie zum Schweigen brachte.
    Sie lauschten angestrengt.
    Irgendwo in der Ferne, in den Straßen der Stadt, war ein schwaches, kaum wahrnehmbares Geräusch zu hören. Meredith und Hjerold blickten einander fragend an, bis ihnen gleichzeitig bewusst wurde, dass das Geräusch wie ein Schnaufen klang.
    Wie ein Rammbock stürmten die beiden Journalisten durch die Türen in die Eingangshalle der Sun. Sie schwangen immer noch hin und her, als Meredith und Hjerold bereits den dritten Stock erreicht hatten.
     

     
    Die Büros der bedeutendsten Zeitung Ost-Kanadas befanden sich gelinde gesagt in einem entsetzlichen Zustand.
    Schreibtische waren wie Klafterholz übereinander gestapelt, elektronische Geräte aller Art – Rechenmaschinen, Telefone und Computer – waren beschädigt und lagen verstreut umher. Brennende Öllampen verströmten ein mattes Leuchten, und dichte Rauchschwaden brannten auf der Haut und in den Augen. Die Fenster waren zu Bruch gegangen. Allerdings hatte sie jemand mit Metallplatten abgedeckt – Teile von Aktenschränken, vermutete Meredith. Und überall lagen Knochen.
    Hjerold blickte sich sprachlos um. Sein Gesicht wurde von einem Sturm der Gefühle entstellt. Es dauerte nur wenige Minuten, bis ihm klar wurde, dass er keine

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