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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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hinter dem Schreibtisch zusammengesunken und hatte sich erneut in seine halb bewusste Trance zurückgezogen. Dabei murmelte er unablässig etwas vor sich hin.
    Meredith riss sich von Michaels Paket los und beschloss in einer schnellen unausgesprochenen Übereinkunft mit Hjerold, dass sie es besser weit weg von der Sun und an einem sicheren Ort öffnen sollten. Dann kniete sie nieder und sah dem verrückten Herausgeber in die Augen. »Mr. Janes? Was sagen Sie?«
    Er blickte sie an und beruhigte sich, vielleicht wegen des Mitgefühls, das er in ihrem Gesicht sah, und wiederholte noch einmal das Mantra, an das sich sein Rest von Verstand klammerte: »Die Sonne ist untergegangen.«
    »Welche Sonne, Mr… Chef?«
    »Alle Sonnen«, erwiderte er und breitete die Arme aus. »Die Sonne ist dunkel, und die Geschichten sind fort. Nur eine Zeitung ist übrig und niemand schreibt die Geschichten außer dem Chef. Niemand druckt die Geschichten außer dem Chef.«
    »Druckt? Funktionieren denn noch irgendwelche Pressen?«
    Er grinste und wies auf das andere Ende der Abteilung für Lokalnachrichten, wo die antike Druckerpresse stand. Sie wurde von Hand bedient und war in der Eingangshalle ausgestellt gewesen – und sie tropfte von Tinte.
    »Aber«, sagte Hjerold, »das Papier wird in riesigen Rollen geliefert – woher haben Sie…«
    »Alle haben geholfen«, sagte der Chef schlicht. »Alle haben dem Chef geholfen, das Papier zu machen. Ich habe die Geschichten gemacht und das Papier, und wir haben die Sonne zu Bett gebracht.«
    Er wies durch die Glastüren am hinteren Ende des Büros auf das angrenzende Zimmer.
    Dort hingen an Leinen, die über die gesamte Breite der Abteilung für Lokalnachrichten gespannt waren, Dutzende Pergamentbögen, die mit trocknender schwarzer Tinte bedeckt waren. Die Bögen im hinteren Teil des Raumes, der außer Reichweite der Lampen lag und von der Dunkelheit verschluckt wurde, gaben ein schwaches Leuchten ab.
    Meredith duchzuckte ein einziger Gedanke: Menschliche Haut ist leicht phosphoreszierend.
    »Die Sun«, sagte Mr. Janes mit Entschiedenheit, »ist fertig.«
     

     
    Meredith wusste nicht, wie Hjerold es geschafft hatte, doch er überzeugte Mr. Janes davon, sie zu begleiten. Vielleicht tat er es aus Loyalität, doch wahrscheinlicher war, dass es ihm Leid tat, was aus diesem Bären von einem Journalisten geworden war. Sie hatte keine Ahnung, wie Silvertown einen kotbeschmierten Herausgeber aufnehmen würde, der offenbar die Haut seiner eigenen Mitarbeiter als Papier benutzt hatte. Andererseits konnte er nicht schlimmer sein, als die meisten der Monster, die in den Straßen umgingen – oder über sie hinwegflogen.
    Sie waren kaum einen Häuserblock weit von den Büros der Sun entfernt, als das schnaufende Geräusch, das sie zuvor gehört hatten, mit einem Mal viel lauter klang. Und sehr viel näher.
    Bei allen zweifelhaften Errungenschaften Kanadas sprachen zwei Dinge für das Land, an denen viele andere Industrieländer gescheitert waren: ein soziales Gesundheitswesen und ein öffentliches Verkehrsnetz. Meredith nahm an, dass es bei dem gegenwärtigen Zustand der Welt mit dem sozialen Gesundheitswesen wohl vorüber sei. Das öffentliche Verkehrsnetz war jedoch eine andere Sache. Sie beobachteten, wie sich ihnen zwei Linienbusse aus verschiedenen Richtungen näherten. Ihre Auspuffe schnauften gewaltig, ihre aufgerissenen Rachen waren mit Reihen rasiermesserscharfer Zähne gespickt.
    »Hee, Reedy?«, sagte Hjerold. »Ich glaube, ich weiß, was mit all den Leuten passiert ist…«
    »Halt die Klappe, Hjerold«, sagte Meredith. »Lauf!«
    Als sie mit Mr. Janes im Schlepptau schlitternd in den Park einbogen, setzten sich drei weitere Busse in Bewegung. Die Gefährten sprangen auf Hondas Rücken, und Hjerold trat ihm wild in die Flanken. Dann hielt er inne und rümpfte die Nase.
    »Mann«, sagte er, »der stinkt aber wirklich. Vielleicht sollten wir es mit Waschen ver…«
    »Hjerold! Wirf das verdammte Pferd an!«
    »Schon gut, schon, gut – mein Gott«, rief Hjerold und versetzte dem Pferd einen Tritt. »Verdammt, es klappt nicht!«
    Meredith drehte sich um und blickte über die Schulter. Alle fünf Busse schlängelten sich zwischen den Bäumen hindurch auf sie zu, die Mäuler weit aufgerissen.
    »Die Ohren, Hjerold – reiß an den Ohren!«
    Hjerold schlug sich gegen die Stirn und drehte kräftig an Hondas Ohren. Auf der Stelle erwachte er zum Leben und pflügte so schnell aus dem Park hinaus, dass

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