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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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funktionierenden Telefonleitungen vorfinden würde, keine Modems oder Faxgeräte oder sonst irgendetwas, das zu finden er erwartet oder gehofft hatte.
    So schlimm die Dinge in Silvertown zu stehen schienen, nie war ihnen der Gedanke gekommen, es könnte anderswo schlimmer sein. Sie waren so starr vor Schreck, dass keiner von beiden bemerkte, dass der Chef plötzlich hinter ihnen stand.
    »Habt ihr eine Geschichte?«
    Erschrocken fuhren beide auf und wirbelten herum. Das Wesen, das zu ihnen sprach, war ein Mann; oder zumindest war es einmal einer gewesen. Er war buckelig und in Fetzen gekleidet, die um seine Glieder gebunden waren. Außerdem schien er mit Tinte beschmiert zu sein, und mit etwas, das nach Exkrementen roch. Er stellte die Frage noch einmal und rieb sich die Hände.
    »Habt ihr eine Geschichte?«
    Hjerold wollte antworten, verschluckte sich und sah Meredith an, während er fest ihre Hand packte. »Reedy«, murmelte er langsam, »das ist Mr. Janes.«
    »Der Chef!«, schrie die schmuddelige Erscheinung und fuchtelte wild mit den Armen. »Ich bin der Chef! Wollt ihr das bestreiten? Wollt ihr das bestreiten?«
    »Nein«, sagte Hjerold beschwichtigend, »keineswegs. Sie sind der Chef – Sie sind am Drücker.«
    »Ich bin am Drücker«, wiederholte Mr. Janes und wies mit den Daumen auf seine Brust. »Ich bin Chef. Besser, ihr streitet das nicht ab.«
    Er blickte sie wieder an und sein Gesichtsausdruck wurde erneut hoffnungsvoll. »Habt ihr eine Geschichte?«
    »Äh, eigentlich, Chef, sind wir hierher gekommen, um nach einer zu suchen«, sagte Hjerold.
    »Ah«, seufzte Mr. Janes und schüttelte traurig den Kopf. »Keine Geschichten. Keine Geschichten mehr. Keine Pressen, kein Papier, keine Sun. Die Sonne ist untergegangen.«
    »Verdammt«, sagte Hjerold, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wandte sich an Meredith. »Ich hatte gehofft, hier irgendwas zu finden, mit dem wir Verbindung zu Deutschland aufnehmen könnten. Aber wahrscheinlich funktionieren mitten in einer Apokalypse selbst Zen-Eingebungen nicht mehr.«
    Mr. Janes hatte dem Wortwechsel wie ein verängstigtes Nagetier gelauscht. Seine Hände zuckten und seine Augen huschten hin und her. Doch nun blickte er Hjerold neugierig an und nahm eine seltsame Haltung an.
    »Deutschland?«, fragte er. »Geht es um eine Geschichte?«
    »Ja«, sagte Hjerold und nutzte die flüchtige Ruhe, die er in den Augen des Chefs sah. »Es geht um eine sehr wichtige Geschichte – damit hatten Sie uns beide schon einmal beauftragt. Sie wollten uns eine Spesenpauschale zur Verfügung stellen… Autsch!« – Meredith stieß ihm heftig den Ellenbogen in die Rippen – »… Entschuldigung. Äh, ich meine, ja – es geht um eine sehr wichtige Geschichte. Wissen Sie etwas über Deutschland?«
    »Vielleicht«, sagte Mr. Janes und rieb sich das Kinn mit einer Handbewegung, die herzzerreißend vertraut wirkte. »Nicht unbedingt Deutschland, aber vor der Fütterung gestern…« – keiner von beiden hätte unterbrechen wollen, um zu fragen, was ›die Fütterung‹ bedeutete – »… kam ein Paket aus Österreich an, und es war an dich adressiert.« Er deutete auf Meredith.
    »Können wir es uns ansehen?«
    »Klar. Ich bin der Chef.«
    Mr. Janes führte sie durch das Gewirr von Trümmern in sein Büro, wo sie das Auge des Sturms vorfanden. Mit Ausnahme einiger dunkler Schmierflecken an Regalen und Wänden sah das Büro genauso aus, wie sie es vor einigen Tagen verlassen hatten.
    »Donnerwetter«, sagte Hjerold.
    »Bin ich nicht Chef?«, sagte Mr. Janes stolz und streckte seine Brust heraus.
    »Das sind Sie eindeutig«, stimmte Meredith mit aufrichtiger Bewunderung zu. Das Ende der Welt war angebrochen, Ottawa lag in Trümmern und ihrem Herausgeber gelang es immer noch, sein Büro in Ordnung zu halten. Kein Wunder, dass ihm die Besitzer der Zeitung Aktienoptionen überlassen hatten.
    Er durchstöberte einige Sekunden lang den Schreibtisch, bevor er den einfachen braunen Umschlag fand, und reichte ihn Meredith.
    Sie warf einen Blick auf den Absender und schnappte erschrocken nach Luft.
    Die Sendung stammte von Michael.
    Ihr Stiefvater hatte ihr dieses dünne Paket geschickt, dem Poststempel zufolge am Morgen jenes Tages, an dem er gestorben war.
    Hjerold, der über ihre Schulter spähte, stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. »Mann«, sagte er, »ein weiterer Punkt für das Zen-Team – Null zu Null, wir lieben euch alle.«
    Nachdem der Chef das Paket übergeben hatte, war er

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