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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Würdest du es wirklich mit ansehen wollen? Dabei sein und zusehen, wie das Licht in seinen Augen schwindet?«
    »Ja.«
    Das kam ein wenig überraschend. »Wirklich?«
    »Auf jeden Fall.«
    »Warum?«
    »Weil ich möchte, dass er weiß, dass ich ihn bis zum Schluss geliebt habe. Ich möchte, dass er es in meinen Augen sieht.«
    »Und du würdest tatsächlich den Schmerz sehen wollen, den er erleidet?«
    »Ja.«
    »Aber warum? Warum würdest du das durchmachen wollen?«
    »Weil das eines der Dinge ist, die ein Vater tut, Meredith. Du bist zwar nicht gestorben, aber was meinst du wohl, warum Wasily einem Kind geschrieben hat, das er wahrscheinlich nie wieder sehen würde – die Tochter einer Frau, die er nie wieder lieben würde, und eines Mannes, der ihm beides genommen hatte?«
    Darauf wusste Meredith keine Antwort.
    »Weil«, sagte Tetsuo über ihr Schweigen hinweg, »es das ist, was ein Vater tut.«
    Danach sagte einige Minuten lang keiner von beiden ein Wort. Meredith suchte nach etwas, irgendetwas, das sie sagen konnte, um den Riss zu schließen, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte. Sie verstand nur ansatzweise, was ihn in solche Aufregung zu versetzten schien – vielleicht würde es helfen, wenn sie es auf irgendeine Weise abmilderte.
    »Ted, bitte glaub mir – ich hatte keine Ahnung. Wenn es mir je in den Sinn gekommen wäre, dass die Eltern der Kinder, die ich genommen habe, dermaßen leiden würden, hätte ich sie zuerst umgebracht.«
    Unvermittelt sprang er auf und einen Augenblick lang schien es, als wolle er den Schädel quer durch das Zimmer schleudern. Dann fing er sich wieder und setzte ihn vorsichtig auf dem Teppich ab. Er sah zu ihr auf, eine Mischung aus Verwirrung und Flehen in den Augen.
    »Meredith, ich verstehe nicht… Was hat dich so… verwandelt? Was hat dich dazu gebracht, so viele Menschenleben zu verschwenden?«
    Ein ungeheures Gefühl der Erleichterung durchflutete sie, und sie lehnte sich mit einem dankbaren Lächeln zurück. »Ted, oh lieber Ted – du verstehst das nicht, kein bisschen.«
    »Dann erkläre es mir bitte, Meredith. Ich kann das nicht ertragen.«
    Sie stand auf und umarmte ihn fest. Er versteifte sich, dann legte er ebenfalls die Arme um sie.
    »Natürlich werde ich es dir erklären. Verzeih mir – ich habe nicht daran gedacht, wie du reagieren könntest. Ehrlich gesagt habe ich es niemandem gegenüber erwähnt, nach all den Ereignissen der letzten Woche. Ich fürchtete, es könnte missverstanden werden, aber ich hätte nie gedacht, dass du… Oh, Ted, bitte, bitte verzeih mir.«
    »Was willst du mir sagen, Meredith?«
    »Ted, keines der Kinder ist verschwendet worden – ich habe sie alle verwendet.«
    Tetsuo lehnte sich langsam zurück und nahm seinen Arm von ihr. Ein reservierter, toter Blick trat in seine Augen. »Was meinst du damit: Du hast sie verwendet?«
    »Zum größten Teil dienten sie nur als Nahrung, doch als all die Veränderungen begannen, wurde mir bewusst, dass das einfach nicht gut genug war – nicht respektvoll genug. Zu vieles von ihnen – Knochen, Haut, und all das – wurde einfach nur weggeworfen. Glaub mir, ich habe mir den Kopf zermartert über die ersten Nachbarskinder. Wenn mein Kopf etwas klarer gewesen wäre, glaube ich wirklich nicht, dass ich gar so viel Material weggeworfen hätte.«
    »Was machst du mit dem… Material, das du nicht wegwirfst?«
    »Was ich immer getan habe, Ted. Ich habe es benutzt, um das Haus damit zu dekorieren.«
    Meredith wanderte jetzt im Zimmer auf und ab. Tetsuo saß lediglich da und hörte zu. Das Zimmer war so stark in Schatten getaucht, dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, doch sie genoss es, all das mit jemandem zu teilen. Meredith hoffte, dass es ihm ebenso gehe.
    »Natürlich konnte ich den Zaun draußen nicht aus den Knochen und Schädeln neu errichten, nicht bei der ganzen übrigen Hysterie, die herrscht. Aber ich dachte, ich könnte zumindest das Innere des Hauses neu gestalten, bis die Stadt zur Normalität zurückgekehrt ist. Wenn ich dann das Äußere in Angriff nehme, kann ich Shingo bitten, mir behilflich zu sein. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.« Sie vollführte eine Bewegung mit dem Arm, die das ganze Haus einschloss.
    »Wie lange bist du… bist du schon mit dem Dekorieren beschäftigt?«
    »Du meinst im Ganzen oder nur das Haus?«
    Tetsuo stieß heiser eine Antwort hervor: »Im Ganzen.«
    »Also, es dürften jetzt schon etwa tausend Jahre sein – aber verrate Shingo

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