Der unsichtbare Turm
Dankbarkeit. Zum Zeichen meines Wohlwollens würde ich Ihnen gerne eine kleine Rundführung anbieten, wenn ich darf?«
»Das wäre toll, nicht wahr, Leute?«
Artie und Kay antworteten: »Klar.«
»Fantastisch!«, rief Merlin und legte die Fingerspitzen aneinander. »Nun, den Laden haben Sie bereits gesehen. Lassen Sie uns mit den wirklich interessanten Dingen weitermachen, die sich im Keller befinden.«
Merlin ging hinter den Tresen, schob den Vorhang beiseite und machte eine einladende Geste. Kynder nahm an und ging hindurch.
»Auf geht’s, würde ich sagen«, sagte Kay.
Artie, der die Nachhut bildete, bestätigte: »Ja, auf geht’s.«
Sie stiegen die Treppe hinunter.
Kynder bekam nicht alle interessanten Dinge zu sehen – aber nur, weil er von dem zweiten Raum so beeindruckt war. Sobald sie das tropische Gewächshaus betreten hatten, gingen Kynder die Augen über wie einem Kind im Süßigkeitenladen.
»Die Geisterorchidee, die Phantomorchidee, die Florida Blue!« Kynders Finger bewegte sich, auf die verschiedenen Pflanzen zeigend, durch den Raum. »Eine Nonnenorchidee, eine Phaius. Oh, seht mal! Was ist das für eine, Merlin?«
»Eine Dracula cutis-bufonis.«
»Du meine Güte, sie ist abscheulich! Sie ist hinreißend!«
»Danke, Herr Kingfisher. Wie wäre es, wenn Sie hier bei diesen edlen Pflanzen blieben, während Kay, Artie und ich weitergehen? Ich habe ein paar Dinge mit ihnen zu besprechen.«
Völlig entrückt sagte Kynder: »Ja, ja, in Ordnung.«
Artie und Kay wechselten einen verdutzten Blick. Merlin sagte: »Schön. Dann folgt mir, Kinder.«
Merlin führte sie durch dieselben Räume, die Artie am Tag zuvor schon gesehen hatte. Und beim zweiten Mal waren sie kein Stück weniger unglaublich.
Artie beobachtete seine Schwester ganz genau. Er war froh zu sehen, dass er nicht der Einzige war, der nicht glauben konnte, was hier gerade passierte. Doch Kays offener Mund und ihre weit aufgerissenen Augen machten ihm zugleich Angst. Das hier passierte alles wirklich !
Schließlich erreichten sie das behagliche Wohnzimmer und Merlin hielt an. In dem Raum standen drei lederbezogene Sessel um einen niedrigen, runden Couchtisch.
»Setzt euch, bitte«, bat der alte Mann. Sie folgten der Aufforderung. Merlin stellte sich hinter den Sessel, der den ihren gegenüberstand.
Kay ließ den Blick durch den Raum schweifen. An den Wänden standen Regale, die mit muffigen Schriftrollen und dicken, alten Büchern gefüllt waren. Er wurde von trüben elektrischen Wandleuchtern erhellt, und es roch wie in einem Museum. Zwischen den Büchern war ein Regalbrett zu einem ausgeklügelten Freiluft-Terrarium umfunktioniert worden, in dessen Zentrum ein großes, pilzförmiges Gebilde aus Legosteinen stand. Als sie genauer hinsah, erkannte sie Fenster im großen roten Hut des Pilzes und eine braune Zugbrücke in seinem kräftigen Stiel. Auf einem Flecken Moos vor dem Pilzhaus standen ein kleiner Tisch und ein kleiner Stuhl. Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung hinter einem der Fenster. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, doch da war es wieder: die Silhouette eines kleinen Mannes. Ihr Herz schlug schneller. Um ihre Angst zu verbergen, zeigte sie auf den Couchtisch und scherzte: »Ist das jetzt hier so was wie das erste Treffen der neuen Ritter der Tafelrunde?«
Merlin kicherte und sagte: »Nun ja, ich hatte das nicht so geplant, aber ja, jetzt ist es das!«
Artie schlug sich mit den Händen auf die Knie und verkündete mit einer für ihn untypischen Würde: »Also gut – wenn das die Tafelrunde sein soll, ich König Artus und du mein Zauberer –, warum sagst du uns dann nicht, was du zu sagen hast?«
Kay boxte ihren Bruder spielerisch gegen die Schulter und sagte: »Zeigt’s ihm, Eure Hoheit!«
Auch Merlin war beeindruckt. Er setzte sich und sah die beiden Kingfisher-Kinder neugierig an. Dann sagte er: »Sehr gut. Wo fangen wir an?«
»Warum erzählen wir Kay nicht, was gestern passiert ist?«, schlug Artie vor.
Merlin nickte und begann: »Nun, wie du weißt, kam Artie auf der Suche nach einem besonderen Controller für dein Tur…«
»Warte«, unterbrach ihn Artie. »Warum lassen wir es ihr nicht von Tom erzählen?«
»Ah! Gute Idee. Tom?«
Kay fragte: »Tom? Wer ist Tom?«
Die Antwort kam aus dem Lego-Pilz. Eine Stimme ertönte von dort. »Ich bin Tom. Tom Däumling. Und ich stehe euch zu Diensten!«
Kay schüttelte den Kopf. Dort, neben dem kleinen Stuhl auf dem Flecken Moos, stand ein Männchen, das
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