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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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überall führten sie nicht vorbei. Auch nicht an der beharrlichen Unaufhaltsamkeit, mit der die Alliierten von Osten wie von Westen her immer größere Teile des Landes eroberten. Der Widerstand zerbrach sichtlich. In irgendwelchen Nirgendwos schlugen sich ermüdete, in Auflösung begriffene Einheiten herum, die kein Führerbefehl mehr erreichte. Hitler gebot inzwischen nur noch über ein paar fanatisch ergebene Außenposten sowie über ein Areal, das sich zunehmend enger um die Hauptstadt schloß.
      Und doch schien in allem, was in den Tagen des endenden Krieges geschah, eine verzweifelte Energie am Werk, die erkennbar darauf aus war, die Niederlage zur Katastrophe auszuweiten. Sollten wir nicht siegen, hatte Hitler schon Anfang der dreißiger Jahre in einer seiner Phantasien über den kommenden Krieg erklärt, »so werden wir selbst untergehend noch die halbe Welt mit uns in den Untergang reißen«. Jetzt war er dabei, seine Vorhersage wahr zu machen.

    ZWEITES KAPITEL
    Konsequenz oder Katastrophe: Hitler in
    der deutschen Geschichte

      Die Frage ist seither nicht zur Ruhe gekommen, ob dieses Ende absehbar und hinter dem altpreußischen Fassadencharme der historischen Palais an der Wilhelmstraße nicht gleichsam schon die verwüstete Ödlandschaft mit den Betonquadern des Führerbunkers erkennbar gewesen sei; das heißt, ob Hitler als das nahezu zwangsläufige Ergebnis der Geschichte des Landes angesehen werden müsse, so daß er weit eher eine deutsche Konsequenz als, dem berühmten Wort des Historikers Friedrich Meinecke entsprechend, eine deutsche Katastrophe war.
      Die enthusiastische, wenn auch von einer trickreichen Regie erzeugte und unablässig hochgetriebene Druckwelle der Begeisterung im Verlauf der Machtergreifung entkräftet auf den ersten Blick alle Behauptungen, die darin einen historischen Unfall erkennen wollen. Zwar waren in allem Jubel, den Fackelzügen, Massenaufmärschen und Kundgebungen mit nächtlichen Höhenfeuern, die zum Bild des Frühjahrs 1933 gehören, Gefühle der Unsicherheit wahrnehmbar, und noch geraume Zeit ging in der Bevölkerung die Frage um, ob sich das Land unter den neuen Männern nicht auf ein verrücktes oder jedenfalls wenig geheures Abenteuer einlasse. Aber die überrennende Gewalt, mit der sie in die politischen Schlüsselstellungen eindrangen, hatte ihre eigene, verwirrende Überredungsmacht. Die Republik von Weimar erschien vielen bald nur noch als eine Episode, und keine Erinnerung, kein Anflug von Pietät machte den Abschied davon schwer. Wie auf ein Stichwort hin trat nach so vielen Jahren einer fehlgegangenen Staatlichkeit der Wille hervor, einen neuen Anlauf zu wagen, und spülte bei einer rasch anwachsenden Mehrheit alle Bedenken hinweg. Zugleich gewann die neue Ordnung, die alsbald Umriß annahm, nicht nur Anhänger und, trotz aller inferioren Geistlosigkeit, Gründe, sondern sogar, wie ihre Wortführer unablässig ausschrien, die Zukunft für sich.
      Es waren diese Begleitumstände der Machtergreifung, die dem Eindruck vorgearbeitet haben, die Deutschen seien damals, nach Jahren einer erzwungenen Anpassung an Demokratie, Rechtsstaat und »westliche« Werte, gewissermaßen zu sich selber und damit zu der anstößigen Rolle zurückgekehrt, die sie angeblich seit Menschengedenken in Europa gespielt hatten. Die ersten zeitgenössischen Deutungen der Ereignisse haben oftmals lange Ahnenreihen bis hin zu Arminius dem Cherusker, den mittelalterlichen Kaisern und weiter über Friedrich den Großen bis hin zu Bismarck konstruiert, in denen sie auf Schritt und Tritt einem latenten Hitlertum lange vor Hitler begegneten. Das Ergebnis war, wie immer man die Dinge ansah, daß es keine »unschuldigen« Ereignisse oder Gestalten der deutschen Geschichte gab. Selbst durch die biedermännische Idylle des Vormärz geisterten die Gespenster der Unterwürfigkeit und Enge, und keinem kundigen Blick konnte der insgeheime Wille dieser Nation verborgen bleiben, in der Welt und notfalls auch gegen sie eine besondere Berufung zu haben. Die deutsche Romantik war danach nichts anderes als eine unter trügerisch zarten Bildern verheimlichte Neigung zu Grausamkeit und Welthaß, eine Sehnsucht zurück »in die Wälder«, die diesem seltsamen Volk, wie es nunmehr schien, immer vertrauter gewesen war als Zivilisation, Verfassung und Menschenrecht. Der violinspielende, vom Zauber einer Schubert-Sonate ergriffene SS-Führer Reinhard Heydrich ist eine Zeitlang geradezu eine Art

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