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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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Führungsschichten ab. Eine Denkschrift der Reichswehr für das Auswärtige Amt aus dem Jahre 1926 formulierte als eine Art mittelfristige Leitlinie der deutschen Außenpolitik: zunächst die Befreiung des Rheinlands und des Saargebiets, dann die Beseitigung des polnischen Korridors zwischen dem Reich und Ostpreußen, die Wiedergewinnung Polnisch-Oberschlesiens, den Anschluß Österreichs sowie schließlich die Besetzung der entmilitarisierten Zone: Es war, von der Reihenfolge abgesehen, das außenpolitische Programm Hitlers während der dreißiger Jahre. Im Führer der NSDAP erkannten diese Gruppen, ungeachtet aller Bedenken gegen seine Vabanquelaunen und sein Brigantenwesen, doch den Mann, der in der Lage schien, ihre revisionistischen Absichten zu verwirklichen. Wie kein anderer jedenfalls verstand er es, den Versailler Vertrag mitsamt den verbreiteten Gefühlen der Kränkung über alle Schranken hinweg als integrierendes Mittel zur Mobilisierung der Nation zu nutzen.
      Was seine Förderer und Helfershelfer nicht bedachten und vermutlich nicht einmal ahnten, war Hitlers Entschlossenheit, seine aus Phantastik und »eiskalter« Berechnung sonderbar gemischten Visionen buchstäblich zu verstehen. Seine Tiraden von Krieg, Neuordnung der Welt sowie einem Riesenreich bis zum Ural und darüber hinaus gingen gerade nicht, wie sie vermeinten, auf die augenblicksweisen Eingebungen eines durchgängerischen Temperaments zurück. Während sie die von den Siegermächten angetane »Schmach« überwinden und die alten Grenzen, wenn auch samt manchen Zugaben, wiederhaben wollten, zielte er mit seiner Politik weder auf alte noch neue Grenzen. Was er gewinnen wollte, waren neue Räume, Millionen von Quadratkilometern eroberter und, wie er bei Gelegenheit bemerkt hat, in einem »Teufelswerk« entvölkerter Flächen. Dahinter stand ein Raumhunger, der nie genug bekam und jeden Erwerb lediglich als Aufmarschglacis weiterer Vorstöße betrachtete.
      Verschiedentlich wird die Auffassung vertreten, daß selbst diese Vorstellungen die Kontinuität noch nicht zerbrachen. Denn im Grundsatz seien sie etwa von den Alldeutschen oder in Ludendorffs Ostkonzepten von 1918 bereits entwickelt worden. Was aber den Zusammenhang tatsächlich abreißen ließ, war das ideologische Ferment, mit dem Hitler sie auflud: das wilde Ideengemenge von Weltkrankheit, Rassenvergiftung, Ausmerzung und Bluterneuerung zur »Rettung des Erdballs«. Damit brach etwas herein, was alle bis dahin sozusagen naive imperialistische Gier im Grundsatz überstieg: eine rassische Utopie, die ein neues Weltzeitalter heraufzuführen versprach. Getragen und erkämpft werden sollte sie von einigen hundert Millionen genetisch bewußter und geeinter Menschen, die unbewegt ihrer historischen Mission folgten, Räume eroberten, alle »Niederrassigen« ausrotteten oder in gestuften Abhängigkeitsverhältnissen hielten: der »Neue Mensch«, der unablässig planierte, zerstörte, umsiedelte und in den KdFMassenhotels auf den Kanalinseln, an den Fjorden Norwegens oder auf der Krim bei fröhlicher Gemeinschaftsfolklore Entspannung vom Auftrag der Geschichte suchte. Es war der Bruch mit allem, was die Welt je ausgemacht hatte, und man fällt der Propaganda des Regimes noch nachträglich zum Opfer, wenn man dieser Revolution eine Herkunft andichtet, die sie nicht besaß. Der monströse Prospekt hatte einzig in sich selber seinen Ursprung. So weit jedenfalls und so wahnwitzig hatte nie jemand gedacht, und es gab von daher keine Verbindungslinie irgendwohin, gewiß nicht zu Bismarck, Friedrich dem Großen oder gar zu den mittelalterlichen Kaisern.
      Es war namentlich der gänzliche Mangel an überpersönlichem Verantwortungsbewußtsein, an nüchtern selbstlosem Dienstethos und an historischer Moral, der Hitler von jedem denkbaren Vorgänger unterschied. Mit einer in aller Geschichte beispiellosen Egozentrik hat er die Existenz des Landes mit der eigenen Lebenszeit gleichgesetzt, wie Albert Speer es ihm in einem Brief vom 28. März 1945 vorgehalten hat. Mehr als in den Waghalsigkeiten zu Beginn, von der Rheinlandbesetzung des Jahres 1936, als er vierundzwanzig Stunden lang um sein Schicksal zitterte, bis zur Besetzung Prags im Frühjahr 1939, gab er am Ende zu erkennen, daß er nur ein in die Politik verschlagener Spieler war, der um »alles« gespielt - und verloren hatte. Dahinter tat sich das Nichts auf.
      Einer der radikalen Parteigenerale, Hitlers Chefadjutant Wilhelm Burgdorf, der

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