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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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verstandenen Demütigung durch die Kriegsschuldthese des Artikels 231. Mehr als alle materiellen Beschwernisse, die dem Land von den Siegermächten aufgebürdet waren, hat es die Verstoßung aus dem Kreis der geachteten Völker in seelischen Aufruhr versetzt, und ein Beobachter hat dazu bemerkt, schon damals habe sich eine »Volksgemeinschaft der Erbitterten« gebildet, die nur noch auf einen Führer und Stichwortgeber wartete. Die Inflation mit der Verarmung breiter Schichten sowie die wenige Jahre später ausbrechende Weltwirtschaftskrise haben solche Aufgebrachtheiten weiter verschärft, und jedes dieser sowie der zahllosen weiteren, unaufhörlich hereinbrechenden Debakel wurde der von allen Seiten bedrängten Weimarer Republik zur Last gelegt.
      Die Affekte und mit unablässig anschwellendem Zorn vermerkten Empörungssachen an der Wende zu den dreißiger Jahren hat Hitler sich zunutze gemacht, indem er landauf, landab die Krise beklagte, die er zugleich mit allen Mitteln vorantrieb. Sie war sein sicherstes Versprechen der Macht. Man kann der ungezählte Male aufgeworfenen und bis heute kaum befriedigend beantworteten Frage nach den Ursachen für seinen Aufstieg nicht auf den Grund kommen, sofern man außer Rechnung stellt, daß er in einer seelisch gebrochenen Nation nach oben kam. Zugleich war der Zulauf, den er und seine Bewegung fanden, mehr als alles andere ein kopfloses Weglaufen von der glücklosen Republik von Weimar, dem »Staat mit der Narrenkappe«, wie einer seiner verzweifelten Verteidiger ihn genannt hat: herumgestoßen von außen und zum Gespött gemacht von allzu vielen, nur in der Verachtung und dem Haß auf das Bestehende geeinten Gegnern im Innern.
      Das war das eine, was die Einsicht in den tiefen moralischen
    Bruch verdunkelt hat, den zahlreiche heutige Betrachter in Kenntnis der späteren Greuel des Regimes 1933 wahrnehmen. Die Zeitgenossen haben ihn nicht oder nur selten empfunden. Zum genaueren Verständnis der Vorgänge gehört aber auch, daß kaum einer der Mitlebenden einen halbwegs zutreffenden Begriff von der totalitären Diktatur hatte, die da heraufkam, und bis zu welchem Punkt Entrechtung, Willkür und Gewalt selbst in einem Land getrieben werden konnten, das zu den führenden Kulturnationen rechnete. Die Phantasie selbst der Gegner der neuen Machthaber reichte nicht weit. Die große Mehrheit stellte sich allenfalls ein autoritäres Regime wie im Italien Mussolinis vor, wo, wie jeder wußte, die Züge wieder pünktlich fuhren. Nach den Weimarer Wirren wünschte nahezu jedermann sich sozusagen die vielen deutschen »Pünktlichkeiten« zurück, die er fast vierzehn unerträglich lange Jahre vermißt hatte.
      Als wesentliches, kaum zu überschätzendes Element zählt zu den deutschen Besonderheiten aber Hitler selber. Alle aufwendigen, mit soviel Überblick wie Unterscheidungskunst verfolgten Herleitungen aus Geschichte und Gesellschaft müssen am Ende auf seine Person zurück und können von der individuellen Biographie nicht absehen, die den Ereignissen die entscheidenden Impulse gegeben hat. Nirgends sonst jedenfalls in den von ähnlichen Turbulenzen heimgesuchten Ländern der Zwischenkriegsepoche gab es eine Führerfigur von vergleichbar rhetorischer Gewalt wie Hitler, nirgends einen Mann von annähernder organisatorischer Fähigkeit und taktischem Ingenium. Auch nicht von ebenbürtiger Radikalität.
      Dann erst ist zu sagen, daß Hitler zudem machtpolitisch an manche Vermächtnisse anknüpfen konnte, die ihre ältere oder jüngere Herkunft hatten: an die Vorstellung beispielsweise, daß der Osten des Kontinents der natürliche, zur Kolonisierung gleichsam bereitliegende Lebensraum des Reiches sei, und tatsächlich hatte die Kriegszieldebatte während des Ersten Weltkriegs bereits »völkische Flurbereinigungen« mit Umsiedlungsaktionen für ausgedehnte Landstriche gefordert. Desgleichen war Hitlers »idealer« Bündnisgedanke, der die engste Verbindung mit dem britischen Empire vorsah, um gemeinsam mit dem germanischen »Vetternvolk« von jenseits des Kanals als die »Lenkungsmächte der Welt« aufzutreten, zumindest umrißhaft, schon vorgedacht wie manches weitere auch.
      Die vordringlichste Aufgabe, die sich der deutschen Politik freilich stellte, war die Überwindung des Versailler Diktats, und dieses Vorhaben gab zugleich die Einbruchstelle beim Werben Hitlers um die alten, vom unverwundenen Schmerz über den gescheiterten Großmachtehrgeiz erfüllten

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