Der Untergang
erboste Hitler sich neuerlich und wies die SSKommandantur des Obersalzbergs an, Göring mitsamt seinem Stab zu verhaften und in die SS-Kaserne Salzburg zu
verbringen.
Am folgenden Tag wurde im Verlauf der Mittagslage bekannt, daß sich die Armeen Schukows und Konjews im Südosten Berlins vereint und den Ring um die Stadt geschlossen hatten. Schon bald darauf stießen einzelne Vorhuten an der Kantstraße aufeinander und gerieten ins gegenseitige Feuer, bis Konjew die Mitteilung erhielt, daß die Eroberung des Stadtzentrums seinem Rivalen zugedacht sei. Doch bereits jetzt verlief von Zehlendorf bis Neukölln eine durchgehende Front, während im Norden Tegel und Reinickendorf gefallen waren. Zugleich begannen die Sowjettruppen, die beiden Flughäfen der Stadt, Tempelhof und Gatow, zu bedrängen. Um die Luftverbindung aufrechtzuerhalten, ließ Hitler die Ost-WestAchse, die er wenige Jahre zuvor mit einer glanzvollen Militärgala eingeweiht hatte, als behelfsmäßige Landebahn herrichten und zu diesem Zweck die zu beiden Seiten der Prachtstraße aufgestellten Kandelaber gegen Speers erklärten Willen niederlegen. Er erwarte noch einhundertfünfzig von Dönitz zugesagte Elitesoldaten der Marine, ließ er die Konferenz wissen, sowie ein SS-Bataillon, das ihm von Himmler als »letzte Reserve« versprochen worden sei.
Noch wichtiger schien ihm die Landebahn im Augenblick allerdings, um Generaloberst Ritter von Greim, den Kommandeur der Luftflotte 6 bei München, zu empfangen. Kein Einwand vermochte ihn von seiner Forderung nach dem persönlichen Erscheinen des Generals abzubringen, weil es ihn, für Augenblicke wenigstens, aus den Düsternissen der Bunkertage entführte und die Gelegenheit zu einem protokollarischen Auftritt gab. Und während draußen, zwischen Reichskanzlei und Pariser Platz, noch immer Schießscharten in die Mauern geschlagen und panzerbrechende Geschütze in Stellung gebracht wurden, erbebte der Bunker immer häufiger unter den Treffern der russischen Artillerie.
Am Tag darauf landete Ritter von Greim in einem einsitzigen Jäger vom Typ Focke-Wulf 190, dessen Gepäckraum zu einem Sitz für die Pilotin Hanna Reitsch umgebaut worden war, auf dem Flugplatz Gatow. Durch einen Anruf im Führerbunker erfuhr er, daß sämtliche Zufahrtsstraßen bis hin zum Anhalter Bahnhof und ein Stück weit die Potsdamer Straße hinauf in den Händen der sowjetischen Truppen seien. Aber Hitler bestehe auf einer persönlichen Unterredung. Ein Grund wurde ihm nicht genannt.
Obwohl ein Durchkommen fast aussichtslos schien, bestiegen der General und Hanna Reitsch einen bereitstehenden Fieseier Storch. Nach einem turbulenten, in den Böen des Feuersturms wild herumschlingernden Flug, dicht über die dunkelnde Silhouette der sterbenden Stadt hinweg, landete die Maschine wenig später am Brandenburger Tor. Kurz vor dem Aufsetzen hatte ein Artilleriegeschoß die Bodenfläche des Flugzeugs aufgerissen und Greim am Unterschenkel erheblich verletzt, so daß er unter starkem Blutverlust in die Reichskanzlei geschafft und ärztlich versorgt werden mußte. Als er anschließend, auf einer Bahre liegend, in den Tiefbunker gebracht wurde, begrüßte Hitler ihn mit den Worten: »Es gibt noch Treue und Mut auf der Welt!« Mit tonloser Stimme und gläsernem Blick, hat Hanna Reitsch vermerkt, unterrichtete er die Besucher vom Abfall Görings, der Entlassung des Reichsmarschalls aus allen Ämtern und der angeordneten Verhaftung. Mühsam ins Förmliche überwechselnd, ernannte er Ritter von Greim sodann zum Oberbefehlshaber der Luftwaffe und beförderte ihn zugleich zum Generalfeldmarschall. »Es bleibt mir nichts auf der Welt erspart«, klagte er gegen Ende, »keine Enttäuschung, kein Treuebruch, keine Ehrlosigkeit und kein Verrat.«
Während der kurzen, betretenen Zeremonie war unausgesetzt das »Donnern und Krachen der Einschläge« zu vernehmen, und »selbst in diesen untersten Räumen« rieselte ohne Unterlaß der Mörtel von den Wänden. Von Zeit zu Zeit wurde der Beschuß so heftig, daß die Ventilation abgeschaltet werden mußte, weil Rauch und Brandgeruch den Bunkerbewohnern die Luft nahmen. Zudem fiel erstmals, wenn auch nur für Stunden, die Fernsprechverbindung aus, so daß das Lagebild aus den Nachrichtenprogrammen des gegnerischen Rundfunks oder aus telefonischen Anfragen in den umkämpften Stadtteilen gewonnen werden mußte. Doch die Meldung, daß sich im Lauf des Z5. April amerikanische und sowjetische
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