Der Untergang der Hölle (German Edition)
Dann hätte sich der Versuch, den Deckel aus dem Weg zu schaffen, als echte Herausforderung entpuppt!
Sie zwängte sich durch das Loch und kam auf die Füße, wobei sie sich wachsam nach allen Seiten umblickte. Noch konnte sie nicht genau sagen, wie friedlich Freetown tatsächlich war. Seit dem Erwachen aus dem Koma hatte sie neben feindseligen Dämonen auch wenig freundlich gesinnte Verdammte und Engel zu Gesicht bekommen.
Sie stand in einem Raum, der so lang und breit war, dass drei seiner Wände in der Dunkelheit verschwanden. Die nahe gelegene vierte Wand setzte sich vollständig aus großen Fenstern zusammen, die früher einmal das Leuchten des wirbelnden roten Höllenhimmels hereingelassen hatten. Jetzt ließ sich hinter den Scheiben lediglich festes Vulkangestein ausmachen.
Ein Wald aus vernieteten metallenen Stützpfeilern dehnte sich um sie herum in sämtliche Richtungen aus. Die Decke – niedrig in diesem Raum, nicht das eigentliche Dach von Ebene 120 – war ebenfalls kreuz und quer von Tragbalken durchzogen. Von ihnen abgesehen, schien der Raum vollkommen leer zu sein. Er wirkte wie ein unvollendetes Bauprojekt. Sie war überrascht, dass keiner der größeren, ambitionierteren Stämme diese gewaltige Fläche bislang für sich beansprucht hatte, um hier eine Siedlung zu gründen.
Sie wollte gerade den Mund öffnen, um diesen Gedankengang mit Jay zu teilen – und ihn zu fragen, ob er eine Idee hatte, welche Richtung sie von hier aus einschlagen sollten, um ihren Aufstieg fortzusetzen –, als sie unvermittelt den Atem anhielt.
Sie roch den Dämon, noch bevor sie ihn sah. Es war ein charakteristisches Weihraucharoma, das unumstößlich in das Fleisch dieser Wesen eingebrannt zu sein schien. In direkter Nähe, das wusste sie aus eigener Erfahrung, drohte der Geruch einen zu ersticken.
Sie wollte nicht nahe genug heran, um es noch einmal zu erleben.
Einen Augenblick später konnte sie sein Herannahen auch hören, doch da war sie bereits hinter den nächsten Stützpfeiler abgetaucht, der breit genug war, um ihren langen, schlanken Körper zu verbergen. Um seine Kante herum lugte sie in die dunkle, trübe Ferne, in der die Lampen zu weit verteilt oder zu schwach waren, um ausreichend Licht zu spenden. Ein weißes Augenpaar blitzte in den Schatten auf, nach und nach gefolgt von einer grobschlächtigen, dunklen Gestalt, die sich aus der Finsternis herausschälte.
Jay hatte ihr erzählt, dass das Sympathisieren der menschenähnlicheren Dämonenrassen mit den rebellischen Verdammten dazu führte, dass die Hölle in rauen Massen Dämonen ausspie, denen rein gar nichts Menschliches mehr anhaftete. Dieses Exemplar war ein typisches Beispiel für diese Entwicklung. Er war ein ungemein klobiger Geselle, so breit, dass er kaum durch die Zwischenräume der Metallpfeiler passte. Ein massiger, weicher Körper, der teilweise aus einem harten Chitin-Außenskelett ragte; eine furchtbare Synthese aus einem fettleibigen Menschen und einem Raubinsekt. Seine Haut wirkte sepiabraun, wenngleich seine skorpionartigen Gliedmaßen eher ins Schwarze übergingen.
Seine glühenden weißen Augen drehten sich erst hierhin, dann dorthin, wanderten über den Säulenwald. Machte er einen Kontrollgang durch sein Gebiet? Befand er sich auf der Jagd? Oder durchschritt er diesen weiten Raum lediglich in einem geistesabwesenden Zustand, um die endlosen Stunden der Ewigkeit verstreichen zu lassen wie ein Schlafwandler? So wie sie selbst einst in den tiefen Gewölben des Konstrukts in eine Art Totenstarre verfallen war? Es spielte keine Rolle; was auch immer diese Kreatur antreiben mochte, sie wollte sie lieber nicht genauer kennenlernen. Es war definitiv keine der Dämonenrassen, von denen sie erwartet hatte, sie in Freetown anzutreffen.
Konnte sie den Raum von Säule zu Säule durchqueren, wenn sie jeweils ruhig abwartete, bis sich der Kopf des Wesens in eine andere Richtung drehte, ehe sie weiterging? Aber wie groß war dieser Saal wirklich? Wie lange würde es dauern, bis sie einen Ausgang erreichte? Nach ihrer mühseligen Kletterei wollte sie sich auf keinen Fall wieder in den Schacht zurückziehen und hinunterklettern, um nach einem anderen Weg zu suchen, der auf diese Ebene führte. Nachher stieß sie wieder mit diesen kleinen Totenkopfdämonen zusammen und kam vom Regen in die Traufe. Und falls dieser Dämon in den Schacht sah, während sie hinabstieg, würde er ihr zwar aufgrund seiner Körpermaße nicht folgen können, aber
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