Der Untergang der Hölle (German Edition)
Teilchen seines Seins bis heute im Konstrukt umher und werden durch die Lüftungssysteme verteilt.«
»Sprichst du von diesem weißen Aschezeug?«
»Ja, Sie haben es also mit eigenen Augen gesehen. Die Bewohner bezeichnen es als Grundstoff.«
»Ich habe gesehen, wie sich primitive Lebensformen scheinbar selbstständig daraus entwickelt haben!«
»Tatsächlich? Davon wusste ich nichts. Ich hoffe, dass Sie mir das einmal zeigen können. Wie faszinierend.«
Am anderen Ende der ausladenden Rampe schritten sie durch einen hohen Torbogen und fanden sich in einer Galerie von ähnlich uferlosen Dimensionen wieder. Der Boden und die Wände bestanden aus geschliffenem schwarzen Marmor mit rötlicher Aderung, Decke und hinteres Ende des Raums tauchten erneut in der Schwärze ab.
Entlang der rechten Begrenzung der riesigen Halle reihten sich weitere gewölbte Torbögen aneinander. Sie ähnelten jenem, durch den sie hineingekommen waren. Einige lagen im Dunkeln, während durch andere Licht hereinsickerte. Aus einem drang ein heulender, eisiger Wind, der die zerlumpten Überreste von etwas aufblähte, das einmal Vorhänge gewesen sein mochten. In die linke Wand waren schmale hohe Fenster mit bogenförmigen Spitzen eingelassen. Die dicken Glasscheiben schienen alle mit Zement zugemauert worden zu sein.
»Hast du Zugriff auf einen Bauplan des Konstrukts?«, fragte Vee.
»Es existieren Pläne einzelner Teilabschnitte, die im Netz zugänglich sind, aber ich bezweifle stark, dass es bereits vollständig kartografiert ist. Da Sie kein bestimmtes Ziel im Sinn haben, nehme ich an, dass eine Richtung so gut ist wie die andere.«
»Aber weißt du zumindest ungefähr, wo wir gerade sind?«
»Das Konstrukt ist erweitert und umgebaut worden, auch während der Zeit, in der ich mich im Netz treiben ließ. Alles, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass Sie auf der unteren Kellerebene gefangen waren. Jetzt befinden wir uns im ehemaligen Erdgeschoss.«
»Ehemalig?«, hakte Vee nach. Instinktiv wandte sie sich nach rechts und näherte sich dem riesigen Gang. Der feste Tritt ihrer Stiefel erzeugte lange verwaschene Echos.
»Mit der Selbstzerstörung des Schöpfers haben sich die Zustände im Hades noch verschlimmert. Die Kreaturen müssen zwar nicht essen oder atmen, um zu überleben, aber die Lebensbedingungen sind nach dem Vorbild der Sterblichen gestaltet. Also sind auch die Empfindungen der Höllenkreaturen denen der Menschen nachempfunden. Wer nicht isst, hungert, aber er wird nie daran sterben. Wer am Atmen gehindert wird, schnappt nach Luft, wird aber nie ersticken. Also wird natürlich eine angenehme Umgebung aufgesucht.
Aber der Niedergang des Hades hat diese Bedingungen gefährdet. Die Luft wurde immer dünner, das Himmelsdach aus Magma begann, unruhig und instabil zu werden. Bald ging regelmäßig ein Lavaregen nieder, der schließlich einer dauerhaften, unerbittlichen Sintflut wich. Dämonen konnten in den Fluten ums Leben kommen, was häufig geschah. Die Verdammten konnten sich immerhin regenerieren, wenn sie zuverlässigen Schutz vor dem Regen fanden; doch die, denen das nicht gelang, wurden unter der Lava begraben – und soweit ich weiß, betraf das die Mehrheit.
Die Lava kühlte ab und verwandelte sich in Vulkangestein, doch die weiter andauernden Regengüsse sorgten dafür, dass sich das Gestein immer höher auftürmte. Jene, die darunter begraben wurden, sind zweifellos selbst jetzt noch bei Bewusstsein, aber für immer in diesem Zustand gefangen. Am Ende erklomm die erkaltete Lava die größten Höhen des Hades und umschloss sie vollständig – ein Fossil.«
Jetzt verstand Vee, warum die Fensterreihe zu ihrer Linken mit festem Bimsstein abgedichtet war.
»Wenn der Hades begraben wurde, wo befinden wir uns dann jetzt?«
»Ich sagte doch, es gab Zufluchtsorte. Mir ist nicht bekannt, welche anderen, kleineren Schutzbereiche dort draußen vielleicht noch bestehen, aber ich weiß, dass die Industriestadt Tartarus, in der einst große Mengen von Dämonen aufgezogen und ausgebildet wurden, die einzige Zuflucht mit nennenswerten Ausmaßen bietet. Die Stadt, die Sie im Video gesehen haben. Die Stadt, in der wir uns in diesem Moment befinden.
Die Verdammten, die Dämonen und sogar die Engel und Himmelsboten, die vom Lavaregen im Hades eingeschlossen wurden, machten sich daran, die gigantischen Strukturen der Siedlung für die Aufrechterhaltung günstiger Lebensbedingungen herzurichten. Gruppen von Arbeitern vergrößerten
Weitere Kostenlose Bücher