Der Untergang der Hölle (German Edition)
sie noch einen Augenblick auf ihre unergründliche Art, dann drehten sie sich um und sprangen immer noch lautlos dem Irrgarten aus aufgestapelten Kisten entgegen. Es überraschte Vee, dass sie sich auf allen vieren mit der Anmut einer Wildkatze fortbewegten. Sie zu töten, um zu verhindern, dass sie erneut gefangen und benutzt würden, um ihren Vater zu befreien, wäre ein Leichtes gewesen. Hatte sie sie aus Mitgefühl freigelassen und war es weise, sich in einer so feindseligen Welt eine derartige Schwäche zu erlauben? Sie hoffte, dass die Kreaturen sie ihren Entschluss nicht später bereuen ließen.
»Rebecca«, stieß eine raue, gurgelnde Stimme hinter ihr hervor.
Vee sah, dass Roper es geschafft hatte, seinen Helm abzunehmen und sich jetzt auf einen Ellenbogen stützte, während er die Seite seines Halses umklammerte, um die Blutung zu stoppen. Seine weiße Uniform war fast vollständig vom Blut durchtränkt, das aus zahlreichen Wunden sickerte. Ropers Gesicht war bleich, und die Selbstbeherrschung, die das Sprechen ihn kostete, ließ seinen Körper zittern.
»Sind Sie völlig durchgedreht? Warum haben Sie das getan?«
»Tut mir leid, Charles«, antwortete sie. »Ich werde Sie nicht daran hindern, nach meinem Vater zu suchen und ihn zu befreien, aber ich werde mich nicht daran beteiligen.«
»Aber warum? «
»Ich bin nicht die, die ich einmal war.« Mehr konnte sie in diesem Moment nicht dazu sagen. Sie setzte sich in Bewegung und hielt auf das Labyrinth aus Kisten zu; die gleiche Richtung, in der die Dämonen verschwunden waren.
»Lady«, krächzte Roper erneut. Sie sah zu ihm zurück, und er sagte: »Wenn Sie so weitermachen, werden Sie nicht einmal mehr in der Hölle Freunde haben.«
Vee tätschelte Jays polierten Knochen. »Das hier ist der einzige Freund, den ich brauche.« Dann trabte sie in die Schatten davon.
20. Die Verfolgungsjagd
A ls Vee sich ihren Weg durch die Schluchten zwischen den hohen Kistenstapeln bahnte, rechnete sie fast damit, dass die freigelassenen Kreaturen sie aus irgendeiner Ecke anspringen und das tun würden, was Dämonen eben taten. Doch dann dachte sie an Jay – auch wenn sicherlich nicht alle Dämonen so wie er waren.
Stattdessen nahm sie einige schleichende Gestalten – ohne Zweifel Verdammte – wahr, die von den Kistenbergen zu ihr herunterspähten. Diese Lagerhalle war also doch nicht komplett unbewohnt. Je weiter sie lief in dem Bestreben, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Engel zu bringen, bevor sie zur Verfolgung ansetzen konnten – falls sie das überhaupt vorhatten –, desto mehr Anzeichen sah sie, dass es an diesem Ort in der Vergangenheit zu heftigen Kämpfen gekommen sein musste. Bald begann sie, Einschusslöcher und Spuren von Ruß an den Kisten zu entdecken. Viele der Kisten hatten Feuer gefangen und waren zu einem Trümmerfeld aus schwarzer Asche verbrannt, aus dem hier und da versengte Metallkisten und -tonnen ragten. Asche wirbelte unter ihren Stiefeln auf.
Dann kamen große Förderbänder in Sicht – keines davon in Betrieb –, die aus Öffnungen in der himmelhohen Decke schräg herab oder in Gegenrichtung nach oben ragten und sich mit horizontal angeordneten Stahlwalzen vereinten. Ein paar dieser Bänder verliefen ohne Unterbrechung durch die komplette Ebene hindurch. Rostige Handkarren warteten vergeblich auf die Verladung der Güter, die hier einst gelagert worden waren.
Ein Geräusch ließ Vee aufschrecken und innehalten. Sie blickte über die Schulter. Erst dachte sie, dass der Schrei aus der Richtung des Aufzugs gekommen sei, doch als er erneut zu hören war – diesmal etwas näher –, stellte sie fest, dass er von der höheren Ebene ausging. Etwas näherte sich den Öffnungen, durch welche die Förderbänder in diese Ebene hinunterführten.
Es klang fast wie der spitze Schrei eines Falken.
»Scheiße«, zischte Vee.
»Wir sollten gehen«, riet Jay ihr.
»Ach was, meinst du wirklich?«, gab sie zurück und rannte los.
Fred hatte also weitere seiner Himmelskrieger ausgesandt, um der Gruppe aus sicherer Entfernung nachzuspionieren. Hatte Ropers Plan, die Abkürzung durch den Aufzug zu nehmen, ihr Eintreffen verzögert? Waren sie den Geräuschen der Schüsse oder dem markerschütternden Schrei ihres Kameraden gefolgt und riefen sie nun zurück, um ihn wissen zu lassen, dass sie auf dem Weg waren?
Vee verfluchte die Veränderung der Umgebung, da die verkohlten Trümmer der Kisten ihr wenig Schutz boten. Hier, wo die
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