Der Untergang der Hölle (German Edition)
ja, ganz sicher … Ein Fuß setzte sich vor den anderen und berührte einen festen, wenn auch unsichtbaren Boden, brachte sie langsam voran.
Schließlich war weiter vorne ein schwacher Lichtschein auszumachen. Sie hielt darauf zu und erhöhte ihr Tempo. Als die schummrige Beleuchtung an Intensität zunahm, hörte sie zum ersten Mal ihre eigenen Schritte, zuerst gedämpft, doch schließlich ganz deutlich.
Das Licht war wie ein Schleier, doch durch ihn konnte sie zunehmend Formen ausmachen: die Andeutungen klobiger Gebäude, niedrig und eckig, etwas versetzt um sie herum angeordnet. Sie hielt weiter auf die Nächste dieser Silhouetten zu. Der Dunstschleier löste sich langsam auf, oder sie ließ ihn hinter sich, als sie sich den Bauwerken näherte. Der visuelle Sinn ihres Avatars konnte endlich Details erkennen.
Ziegelmauern – wie neu, kaum abgenutzt. Glastüren. Ein gepflasterter Gehsteig, den junge Bäume zwischen pseudoantiken Laternenpfählen flankierten, grenzte an einen Parkplatz, der zum Teil noch im Nebel lag. Als sie in einem gemäßigteren, besser zum Erkunden der Umgebung geeigneten Tempo den Bürgersteig entlangging, erkannte Vee, wo sie gelandet war. Es handelte sich um die Shoppingmeile, in der Adam mit seinem Hund spazieren gegangen war. Sie hatte nicht nur seine Erinnerung aus den Datenströmen heruntergeladen, sie hatte sie betreten .
Das Zentrum der Mall war wie der Marktplatz eines kleinen Dorfs angelegt. Die Ladenfronten wiesen nach innen in die leeren Weiten der Parkplatzflächen. Doch nicht nur das: Mit absichtlich eingefügten, vermauerten Fenstern und anderen ausgeklügelten Details war einigen Bauwerken das Flair alter Mühlen oder Fabrikgebäude verliehen worden, die man erst nachträglich in Läden und Markthallen verwandelt hatte. So, wie die Fabrikgebäude von Tartarus in das Miniaturuniversum, das man heute als das Konstrukt bezeichnete, transformiert worden waren.
Vee näherte sich der langen Fensterfront eines Supermarkts, der eines der Hauptgeschäfte des Zentrums gewesen sein musste. Doch sie konnte nicht hineinsehen, nicht einmal, als sie ihre Augen direkt vor der Scheibe mit den Händen abschirmte. Nichts als Schwärze lag hinter dem Fenster, die gleiche Schwärze wie direkt nach ihrem Eintauchen ins Netz. Dabei hatte sie sich in ihrer Fantasie ausgemalt, drinnen auf andere zu stoßen, wie sie glühend rote Informationspakete kauften, die fein säuberlich in den Regalen einsortiert lagen. Doch die automatische Tür öffnete sich nicht, als sie näher kam. War alles hier nur eine Fassade wie an einem Filmset?
Sie hatte sich gerade von der Tür des Supermarkts abgewandt, als eine Stimme hinter ihr sagte: »Sie haben hier keinen Zutritt. Was wollen Sie?«
Sie drehte sich um und wappnete sich für den absurden Anblick eines Security-Mitarbeiters oder Polizisten. Was sie stattdessen sah, war ein jüngerer Mann mit einem Hund an der Leine – eine bildschöne weiße Akita mit schwarzer waschbärähnlicher Zeichnung im Gesicht.
29. Die Avatare
D ie Hündin wirkte freundlicher als ihr Herrchen. Ihre Zunge hing heraus und die kleinen Augen strahlten. Vee lächelte sie an. Nicht dass es Überwindung gekostet hätte, den Mann anzusehen. Er erinnerte sie an den Schauspieler Kevin Bacon. Oder war es lediglich der Avatar, der dem Schauspieler oder einem anderen Vorbild nachempfunden war und nicht der tatsächlichen Gestalt des Mannes? Sie hatte seine Erinnerungen durch seine Augen wahrgenommen und doch keine Gelegenheit gehabt, in einem Spiegel oder auf einer Glasfläche eine deutliche Reflexion von ihm zu sehen.
»Sind Sie Adam?«, fragte sie.
»Das war ich. Aber die Leute nennen mich seit langer Zeit nur noch Armdran .«
»Ah … richtig. Ich habe in Ihren Erinnerungen gehört, wie jemand mit diesem Wortspiel anfing.«
»Wen gehört? Welche Erinnerungen?«, hakte er argwöhnisch nach. Er blieb auf Distanz und hielt den Hund zurück, entweder um Vee vor ihm zu schützen – obwohl er ganz und gar nicht angriffslustig wirkte – oder um den Hund vor ihr zu schützen.
»Entschuldigung … Hören Sie, ich bin Vee.«
»Vee?« Sie bemerkte, dass seine Augen den Körper ihres Avatars in der zerrissenen Gummikluft von oben bis unten misstrauisch abscannten. Doch sie hoffte, er würde sie zumindest attraktiv genug finden, um sich anzuhören, was sie zu sagen hatte.
»Ja. Ich war seit den Anfangstagen des Konstrukts eine Gefangene der Dämonen – seit fast zwei Jahrtausenden, und ich
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