Der Untergang der Hölle (German Edition)
in diese, andere in jene Richtung zogen und wiederum andere gänzlich unbewegt blieben. Manche waren so weit weg, dass sie wenig mehr als glitzernde Punkte zu sein schienen, während andere wie glühende Heißluftballons vorbeischwebten. Es gab solche, die sich träge fortbewegten, und Geschwister, die wie Meteore zuckten. Einige trafen aufeinander und blitzten in lautlosen Kollisionen auf, trafen sich und verschmolzen zu neuen Sternen, die in gänzlich andere Richtungen davontrieben oder mit großer Wucht über den Horizont schossen.
Informationen, dachte sie. Dateien, die ins Netz eingebracht und dort gespeichert wurden. Sie bewegten sich in vorprogrammierten Umlaufbahnen, gezogen und verschoben, aufgerufen oder abgeschickt von den Bewusstseinen derjenigen, die aktuell mit dem Netz verbunden waren. Von den geschäftigen, insektenhaften Arbeitern von Naraka. Von den träumenden Vernetzten. Von Leuten in ungezählten anderen Kolonien oder individuellen Einzelgängern wie ihr selbst.
Sollte sie jetzt hinausschwimmen und in diese Datenströme eintauchen? Was kam als Nächstes?
Nun, das lag ganz an ihr, nicht wahr? Hatte sie die Übung schon vergessen, die sie sich selbst für ihren ersten Ausflug ins Netz überlegt hatte?
Ein Mann namens Adam. Er wartete, dass die stampfenden Schritte der Bomben sich seinem fragilen Schutzraum näherten, dass sie seine Schwester, seine Mutter und seinen Bruder erreichten, die weit von ihm entfernt völlig hilflos ihrem Schicksal ausgeliefert waren …
Mutter. Bruder. Zum ersten Mal seit langer Zeit erinnerte sie sich, dass es auch in ihrem Leben eine Mutter und einen Bruder gab. Tim hatte Vee in Los Angeles berichtet, dass ihre eigene Mutter ihren Mann nicht auf seinem heiligen Kreuzzug in den Hades begleitet hatte, sondern stattdessen im Paradies zurückgeblieben war – aber wo befand sich ihr Bruder? Vielleicht war er zu jung gewesen, um am Kreuzzug teilzunehmen, oder hatte es sogar abgelehnt. Vee hoffte auf Letzteres. Sie hoffte, dass er so war wie sie jetzt.
Doch die Gedanken an ihre eigene Familie drohten, ihre Konzentration zu stören. Sie befürchtete, am Ende eigene, ungewollte Erinnerungen heraufzubeschwören statt denen, die Jay ihr gezeigt hatte. Also fokussierte sie ihren Geist wieder auf den Namen Adam und konzentrierte sich auf seine bruchstückhaften Aufzeichnungen. Adam, wie er aus seiner Atelierwohnung zu dem Haus aufbrach, das ihm die Bank wegnehmen wollte, weil sie, selbst als der Tag des Jüngsten Gerichts nahte, noch auf sein Geld scharf war. Das Haus, in dem er die Hündin zurückgelassen hatte, eine schöne weiße Akita mit Waschbärmaske, weil er sie nicht in seiner Wohnung halten durfte und nicht wusste, wo er sie sonst unterbringen sollte.
Weitere Bilder. Adam, der mit seinem Hund in einem halb leeren Einkaufszentrum spazieren ging, das aufgrund der zerrütteten Wirtschaft nie richtig in Schwung gekommen war, nur eine Handvoll der Geschäftsflächen vermietet. Und dann, wie Adam und so viele, viele andere durch die Tore der Hölle gespült wurden. Wie die Drohnendämonen sie rücksichtslos voranschubsten, er schließlich genug hatte, nach allem, was er bereits als Sterblicher erdulden musste, und eine Rebellion entfesselte. Adam, der den anderen eine neue Perspektive gab. Der sie zu der Stadt führte, aus der am Ende das Konstrukt entstehen sollte.
Ein Geräusch erreichte ihre Ohren. Das Erste, das sie in der ungewohnten Umgebung vernahm – ein ferner Lärm, eine Art Sägen. Während es sich näherte, schwoll es rapide an. Es verwandelte sich in das Getöse eines Schnellzugs, und noch während sie diesen Vergleich anstellte, war er bereits neben ihr, raste an ihr vorbei.
Sie sprang zurück. Die Abteile waren von einem leuchtenden Rot wie die fernen Datenströme und sie glichen in ihrer Gesamtheit ebenso sehr einem gerippten Schlangenskelett wie einem Zug. Waren das verschwommene menschliche Gestalten, die sie in seinem Inneren entdeckte? Für einen kurzen Moment blitzten weiße Gesichter auf, die durch ein Gestänge, das wie heißes Metall glühte, zu ihr herausstarrten. Würde der Zug anhalten? Sollte sie etwa einsteigen, damit er sie zu der Erinnerung geleitete, die sie heraufbeschwören wollte?
Doch der Skelettzug hielt nicht an und ratterte an ihr vorbei, bis er außer Sichtweite verschwunden war.
In Ermangelung einer besseren Alternative begann sie, seiner Route zu folgen, und diesmal verspürte sie tatsächlich ein Gefühl von Bewegung. Ja,
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