Der Untergang der Hölle (German Edition)
Rasse kaukasischer Höllenabkömmlinge mit Haut wie Wachspapier und den Flügeln eines Drachen. Als sie diese zweite Dämonenart zum ersten Mal sah, durchfuhr Vee ein Schauer des Wiedererkennens. In ihr rührten sich unterdrückte Erinnerungen an das Kellergewölbe, in dem sie vor so langer Zeit gefangen genommen und gefoltert worden war.
Sie war überrascht, dass die Dämonen zumeist nackt herumliefen – es störte sie nicht, denn jeder Einzelne von ihnen besaß einen ausgesprochen ästhetischen Körper. Die Vertreter mit den Fledermausflügeln trugen zum Teil Uniformen, die ihrer eigenen ähnelten. Das veranlasste sie, sich an Michael zu wenden und ihn zu fragen: »Meinen Sie, ich könnte mich kurz duschen und umziehen, bevor ich diese wichtige Person kennenlerne?«
Der Sicherheitschef seufzte. »Er wartet bereits auf uns.«
»Bitte. Ich meine, schauen Sie mich doch an.«
»Ich werde etwas für Sie herrichten lassen. Nach Ihrer Verabredung. Ich bin sicher, ihm wird völlig egal sein, wie Sie aussehen.«
Vee beließ es dabei und Michael führte sie direkt zu einem ziemlich unscheinbaren, dreistöckigen Gebäude. Die schweren Wände aus vernieteten Metallplatten waren limettengrün gestrichen, wodurch sie weniger Respekt einflößend wirkten. Zwei an der Vordertür postierte Wachen salutierten Michael und ließen ihn und die anderen eintreten.
Vee sah sich um. Sie befand sich in einem Großraumbüro, das in Arbeitskabinen unterteilt war. In jeder stand ein robuster Computer mit einem Gehäuse aus weißer Emaille und glich auf die Seite gelegten Toiletten. Einige der Leute, die vor den Geräten saßen, waren mit dem Netz verbunden. Über eine Lautsprecheranlage wurde ein sanft-melancholisches Lied verbreitet, das Vee erkannte, ohne jedoch Titel oder den Namen des Künstlers zu kennen. » Musik?«, fragte sie. Auch wenn sie etwas verwaschen und blechern klang, war es doch zum ersten Mal, dass sie im Hades damit konfrontiert wurde.
»Ja«, bestätigte Michael. »Ich liebe dieses Lied. Here’s Where the Story Ends von den Sundays.« Er machte eine ausgreifende Geste. »Das hier nennen wir die Druckerei. Da drüben sitzt Roger – der Mann, der sich im Hades um meinen Sohn gekümmert hat, bevor ich ihn fand.« Michael wies mit einem Kopfnicken auf einen freundlich aussehenden Mann Ende 20, der gerade einen Text von einem Terminal ablas. Dieser winkte grüßend zurück. »Roger hat in einer Druckerei in Apollyon gearbeitet, bevor die Stadt zerstört wurde. Dort haben die Verdammten Bücher für sich hergestellt. An diese Tradition wollten wir in Freetown anknüpfen. Aber das Papier wurde knapp, also beschlossen wir, stattdessen das Netz zu benutzen.«
»Armdran hat mir davon erzählt. Dass er mit hilft, Bücher, Filme und Musik aus den Köpfen der Leute herauszuholen, um sie für die Nachwelt zu erhalten.«
»Nun, Filme sind leichter auszugraben als Bücher und bei Musik ist es einfacher als bei Filmen.«
Das konnte Vee gut nachvollziehen. Als ihre Erinnerungen an die sterbliche Welt langsam zurückkehrten, hatte sie im Kopf manchmal Lieder gehört, so exakt, als handele es sich um die Originalaufnahme. (Eins davon war Heroes von David Bowie gewesen. Jays Enthüllung, dass es sich bei seinem Avatar um einen Delfin handelte, führte dazu, dass ihr spontan die Zeilen I, I wish you could swim, Like the dolphins, Like dolphins can swim wieder einfielen.) Doch konnte man sich tatsächlich Wort für Wort an ein Buch erinnern?
»Es ist sehr schwierig, Bücher aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren«, meinte Michael, als hätte er ihre Gedanken gelesen, »aber uns hat die Idee trotzdem gefallen. Was also hier in der Druckerei gemacht wird, ist, dass Leute mit Schreibtalent ihre Lieblingsbücher nachschreiben und sie entweder direkt im Netz speichern, wo jeder von seinem eigenen Computer aus auf sie zugreifen kann, oder eben über die Gemeinschaftsrechner in der Bibliothek. Der Kerl da drüben ist Frank Lyre, einer unserer besten Autoren, nicht wahr, Frank?«
Ein Mann in einer Arbeitskabine ganz in der Nähe drehte sich um und lächelte Vee an. Sie fand, dass er gut aussehend war und große Ähnlichkeit mit dem Schauspieler William Hurt besaß. Seine freundliche Reaktion auf sie schien darauf hinzudeuten, dass er sie trotz ihrer ungepflegten Erscheinung ebenfalls nicht unansehnlich fand. Er sagte: »Oh, na ja, ich möchte darauf hinweisen, dass ich es vorziehe, meine eigenen Bücher zu schreiben. Aber im Moment
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