Der Untergang der islamischen Welt
sich um die männlichen Gäste. In Tunesien gibt es dafür sogar eine geschäftstaugliche Bezeichnung:
Business
. Dies vergewaltigt die hartnäckige Tradition und führt den Menschen ihre Doppelmoral vor Augen. Es zeigt, dass die sonst strenge Sexualmoral in der islamischen Gesellschaft nur gekünstelt und nicht immer aus Frömmigkeit, sondern aus Mangel an Gelegenheit aufrechtzuerhalten ist. Aber Sextouristen sind nicht nur die dekadenten Europäer, sondern auch die arabischen Herren aus den Golfstaaten, die im Sommer in den Nachtclubs von Kairo, Beirut und Damaskus nach der käuflichen Liebe suchen.
Die moralische Desorientierung junger Muslime mündet oft in Radikalisierung. Vier ehemalige Freunde von mir sind mittlerweile konservative Muslime geworden, die keiner Frau die Hand reichen – obwohl sie früher an Touristen in den Hotelanlagen Alkohol ausgeschenkt hatten. Einer davon hält sogar Terroranschläge gegen Touristen für gerechtfertigt, denn diese würden nicht nur die Umwelt, sondern auch den Glauben der Muslime zerstören. Die Anschläge von Luxor, Bali und Djerba zeigen, dass radikale Islamisten die Touristen als Kreuzfahrer ansehen.
Die Regierungen in den islamischen Ländern kümmern sich kaum darum. Man lässt nach wie vor den Spagat zu, die Westler im Bewusstsein der Muslime als Feinde einzupflanzen und sie gleichzeitig im Namen der arabischen Großzügigkeit als Touristen einzuladen. Es werden keine Konzepte gegen Wasserknappheit entwickelt, die die gesamte Region in bittere Bruderkriege stürzen könnte. Es gibt keinen Plan für das Leben nach dem Tourismus oder nach dem Erdöl.
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Die Lust an der Kränkung
oder: Warum die Muslime so
ungern an ihre selbstgemachte
Misere denken
M it seinem Ägyptenfeldzug wollte Napoleon zum einen die Basis für eine große französische Kolonie im Orient errichten und zum anderen den Weg Englands zu seinen Kolonien in Indien stören. Durch Geschick und ein kluges Arrangement mit den religiösen Anführern der Al-Azhar Moschee konnte Napoleon seine Macht am Nil bald festigen und einen Aufstandversuch niederschlagen. Die Ägypter waren ja nie große Revoluzzer und hatten meist jeden Herrscher hingenommen, der die Macht ergriff. Den Unmut der Ägypter darüber, dass nun ein Ungläubiger über sie herrschte, konnten die religiösen Wortführer, die von Napoleon monatliche Gehälter erhielten, besänftigen, das Gefühl der Demütigung aber blieb. Mit einem Gerücht über Napoleons Übertritt zum Islam versuchten die Franzosen die Gemüter ein wenig zu beruhigen. Analog lancierten deutsche Stellen während Rommels Vorstoß auf Ägypten das Gerücht, dass Hitler zum Islam konvertiert sei, um die Ägypter zur Revolte gegen die britische Kolonialherrschaft zu ermuntern. Die Nähe zum Volk durch scheinbare Religiosität war immer ein Schlüssel zur Macht in Ägypten, auch in vorislamischen Zeiten. Schon Napoleons Vorbild Alexander der Große wurde vom aggressiven Eindringling zum beliebten Herrscher über Ägypten, als er sich im Tempel von Siwa als Sohn des Gottes Amun taufen ließ.
Mit Napoleons Truppen kamen auch französische Archäologen und Geographen ins Land, die die erste Enzyklopädie über Ägypten verfassten. Sie entdeckten den Stein von Rosette, anhand dessen Jean-François Champollion ( 1790 – 1832 ) die altägyptische Sprache und die Hieroglyphen entzifferte, ein Meilenstein der Ägyptologie. Neue Technik, eine funktionierende Verwaltung und ein Justizsystem hatten die Franzosen binnen weniger Monaten in Kairo eingeführt. Doch nach einem Jahr musste Napoleon nach Frankreich zurück, nachdem er von den starken Rückschlägen der französischen Streitkräfte in Europa erfahren hatte, und überließ den Oberbefehl der in Ägypten stehenden Truppen General Jean-Baptiste Kléber, der bei den Ägyptern wenig beliebt war. Kléber wurde nach kurzer Zeit von einem eifrigen Al-Azhar-Studenten namens Al-Halabi ermordet. Daraufhin wurde für den Täter ein Tribunal errichtet, wo er ein faires Gerichtsverfahren erhielt. Die Ägypter, die gewohnt waren, dass jeder, der sich gegen den Herrscher auflehnt, ohne Verfahren hingerichtet wird, waren beeindruckt von der französischen Vorgehensweise, die dem Angeklagten das Recht auf Selbstverteidigung einräumte.
Ägyptens erster neuzeitlicher Historiker, Abdarrahman Al-Gabarti ( 1754 – 1829 ), der Augenzeuge dieses Prozesses war, nannte den Attentäter einen »leichtsinnigen, dummen Jungen«, denn er habe mit
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