Der Untergang der islamischen Welt
weigerte sich mit der Begründung, sollte er Gefallen am Geschmack finden und es wäre einmal kein alkoholfreies Bier in der Nähe, dann würde er womöglich die große Sünde begehen, ein Bier mit Alkohol zu bestellen. Das erklärt, weshalb viele junge Muslime, die nach Europa einwandern, um in Freiheit zu leben, bald zur Moschee zurückkehren und noch religiöser werden, als sie je waren. Es bleibt bei ihnen nicht, wie bei den oben beschriebenen Frauen, nur bei den religiösen Symbolen, denn Männer glauben oft, eine Identitätsschlacht nach der anderen gewinnen zu müssen. Zunächst trauen sie sich viel Freiheit zu, schmecken die verbotenen Früchte des Abendlandes, verbrennen sich die Finger und kehren zu Gott zurück. Als Zeichen der Wiedergutmachung verabscheuen sie alles Westliche und machen den ungläubigen Westen für ihr Abirren verantwortlich.
Sayyed Qutb, einer der Chefideologen und Mitbegründer der radikalen Muslimbruderschaft in Ägypten, verbrachte zwei Jahre in Amerika, bevor er als radikaler Muslim in seine Heimat zurückkehrte. Vor dieser Reise war er ein verwestlichter säkularer Ägypter, danach hatte er für den dekadenten Westen nur noch Hass und Verachtung übrig.
Das trifft auf viele Attentäter des 11 . September zu, die scheinbar vollkommen verwestlicht nach Europa oder Amerika kamen und einen langen Prozess der Radikalisierung in der Fremde durchmachten, bevor sie gegen die Wand liefen. Auch Abu-Hamza, der britische Fundamentalistenführer, der in einer Predigt die Ungläubigen als Tiere bezeichnete und den Muslimen empfahl: »Wenn du Kontrolle über sie hast, darfst du sie zum Markt führen und dort verkaufen, wenn nicht, dann schlachte sie einfach.« Bevor seine radikale Karriere begann, war er Türsteher einer Londoner Diskothek.
Vielleicht ist die Ursache für die radikale Islamisierung vieler Muslime im Westen eine Verletzung des Schamgefühls oder die anthropologische Wunde, die die fremde Kultur bei diesen Menschen auslöste. Vielleicht besticht aber einfach die islamische Orthodoxie mit ihrer klaren und Orientierung bietenden Teilung der Welt nach Konfessionen, die die Ungläubigen entmenschlicht und sie zum Abschuss freigibt. Ungeachtet dessen, wie liberal Muslime sein können, bleiben viele von ihnen mit ihrer Tradition und dieser einfachen Geographie der Teilung mit einem Gummiband verbunden. Und egal wie weit sie sich davon entfernen, kehren sie irgendwann zurück und prallen auf den Status quo. Je weiter sie sich entfernen, desto heftiger wird der Aufprall bei der Rückkehr. So entstehen Terroristen, die alle Brücken von und zu sich zerstören und aus dem eigenen Leben ein Experiment machen.
Deshalb ist es ein Trugschluss zu glauben, Zeit alleine reiche aus als Garantie für die Veränderung, denn meist dreht sich alles nur im Kreis oder geht sogar rückwärts. Bereits im achten Jahrhundert gab es eine islamische Denkschule namens
mutazila
, die den Koran nicht als ewigen, sondern als historischen Text sah. Demnach durfte der Koran analysiert und sogar kritisiert werden; ein Gedanke, der damals sogar dem Kalifen in Bagdad gefiel, worauf er die Anhänger der Gruppe unterstützte. Im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der ägyptische Sprachwissenschaftler Abu Zaid von seiner Frau zwangsgeschieden und musste Ägypten verlassen, weil er die ketzerischen Gedanken der
mutazila
wiederbelebte. In den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war Ägypten viel weltoffener und liberaler als heute. Im Jahr 1926 riss sich die ägyptische Feministin Huda Sha’arawi ihren Schleier auf Kairos größtem Platz vom Kopf und rief die muslimischen Frauen auf, ihrem Beispiel zu folgen. Dadurch galt sie als Heldin, und eine Kairoer Straße wurde nach ihr benannt.
1937 veröffentlichte ein ägyptischer Intellektueller ein Buch mit dem Titel »Warum ich Atheist bin«. Damals gab es keine Aufregung darum. Lediglich ein religiöser Dichter schrieb ein Buch als Antwort darauf mit dem Titel »Warum ich gläubig bin«. Sollte sich eine Ägypterin heute trauen, den Schleier demonstrativ zu heben, würde sie wahrscheinlich von den Massen erdrückt werden, denn dieser ist nicht nur ein religiöses Symbol, das er früher war, sondern ist ein Kampfsymbol geworden. Sollte jemand ein Buch über seinen Glaubensverlust verfassen, verkürzt sich dadurch seine Lebenserwartung drastisch.
Der Ägypter Farag Fouda wurde 1992 vor seinem Haus von Extremisten ermordet, nachdem eine
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