Der Untergang der islamischen Welt
hieß es, sie seien gleichgültig und wollten lediglich die Ressourcen der Muslime rauben. Als sie Schulen und kulturelle Einrichtungen aufbauten, wie in den französischen Kolonien üblich, hieß es, sie wollten missionieren und die islamische Kultur unterwandern. Es herrschte sowieso die Vorstellung, dass aus dem Land der Ungläubigen nichts Gutes kommen konnte. Diese psychische Barriere stand immer zwischen der islamischen Welt und dem Westen.
Auch heute, Jahrzehnte nach dem Ende des Kolonialismus, gilt vielen in der islamischen Welt eine umfassende Modernisierung als Beugung gegenüber dem Westen. Sicher spielt die Machtpolitik des Westens eine wichtige Rolle für diese Wahrnehmung seitens der Muslime, eine Machtpolitik, die beständig und nicht immer segensreich Einfluss nimmt auf die vielen ungelösten Konflikte in der islamischen Welt, von Tschetschenien bis zum Nahen Osten. Dennoch sehe ich andere, entscheidende Gründe für das chronische Beleidigtsein der Muslime. Im Kern ist das Selbstbild der Muslime dafür verantwortlich. Sie sehen sich noch immer als Träger einer Hochkultur und können sich nicht damit abfinden, dass sie eine führende Position in der Welt längst verloren haben. »Der Islam hat den Machtverlust nicht verkraftet«, bringt es der in Tunesien geborene französische Schriftsteller Abdelwahab Meddeb auf den Punkt. Das daraus resultierende Ressentiment nährt den islamischen Fundamentalismus, den Meddeb als Herd der islamischen Krankheit ausmacht. Eine archaische Kultur der Ehre und des Widerstandes verhindert eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Westen, den man lieber auf den »Feind« reduziert.
Meddeb erklärt die Psychologie des ressentimentgeladenen Menschen, im Sinne von Nietzsche, an einem Menschen, der sich für etwas Besseres hält, als es die Umstände zulassen, unter denen er lebt. Für den deutschen Philosophen entsteht Ressentiment aus dem subjektiven Gefühl, ständig ungerecht behandelt zu werden. Und so sieht er die Psychologie des Ressentiments als Selbstvergiftung durch eine nicht vollzogene, gehemmte Rache. Rachegedanken, die nicht ausgeführt werden, seien, so Nietzsche, wie ein Fieberanfall, den man nie loswerde.
Ressentiments können aber, zumindest im Sinne Adornos, als Motor der Mobilisierung der eigenen Ressourcen dienen. Gegen die Fremdgruppe werden Affekte mobilisiert, um die eigene Gruppe zusammenzuschweißen. Auf der anderen Seite muss man die Eigengruppe sammeln, damit sie den Kampf gegen die Fremdgruppe wirksamer führen kann. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir Muslime Gefallen daran finden, vom Westen beleidigt zu werden; es scheint mir ein masochistisches Spiel zu sein, das uns beweist, dass wir am Leben sind. Wir hätten es gerne, dass der Westen etwas gegen uns hat. Es tut unserer verletzten Seele gut, zumindest zu glauben, dass der Westen uns anvisiert und uns zerstören will. Denn sollte der Westen uns vollkommen ignorieren, würden wir uns bedeutungslos vorkommen. Es tut uns gut zu glauben, dass unser Gegenspieler ein potenter Gegner ist, der sich darüber Gedanken macht, wie er uns ärgert.
Einerseits kann diese Wut ein Mittel des Rückzugs und Ausdruck der Passivität sein; wenn man sowieso gegen den Westen materiell weder gewinnen noch mithalten kann, will man ihm zumindest im Kampf gegen Globalisierung, Kapitalismus und Ausbeutung Paroli bieten. Andererseits denke ich auch, dass sich hinter diesen Ressentiments eine Hassliebe versteckt. Wir nehmen den Westen zu ernst, wir sind von ihm geradezu besessen. Und es tut uns weh, dass wir von ihm zu wenig Anerkennung erhalten. Genauso, wie die Nachrichten über Beleidigungen des Islam durch den Westen in den arabischen Medien an prominenter Stelle vermeldet werden, registriert man Nachrichten über anerkennende Worte von westlichen Politikern oder Intellektuellen zum Islam. Während der ehemalige US -Präsident Georg W. Bush mit einem Schuhwurf aus dem Irak verabschiedet wurde, wurde sein Nachfolger Barack Obama mit Standing Ovations in Kairo empfangen. Seine Rede an der Kairoer Universität im Juni 2009 , in der er den kulturellen Beitrag des Islam für die Menschheit lobte, war für viele Muslime Balsam auf der verletzten Seele. Sechsmal zitierte er den Koran; sechsmal reagierten seine muslimischen Zuhörer mit brausendem Applaus. Eine besondere Freude für Muslime ist es, wenn ein prominenter Mensch aus dem Westen die Verdienste des Islam aufzählt oder zum Islam übertritt. Jedoch werden
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