Der Untergang der islamischen Welt
unterhielten uns. Auf meine Frage, ob er je mit einem arabischen Journalisten geredet hätte, erwiderte er in einem leisen, schüchternen Ton: »Nur einmal wollte einer mich zu den Karikaturen interviewen, aber das Ganze fing mit einer Moralpredigt von ihm an, so dass ich das Gespräch danach beenden musste.« Genau das wollte ich nicht. Ich wollte ihn verstehen. Flemming Rose lud mich zu einem zweiten Gespräch in sein Büro in der Innenstadt, und dieses verlief so:
Hamed Abdel-Samad: Herr Rose, manche in Europa nennen Sie einen Fundamentalisten der Pressefreiheit, trifft diese Beschreibung auf Sie zu?
Flemming Rose: Es war der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer, der mich so nannte, nachdem die Mohamed-Karikaturen in unserem Blatt veröffentlicht worden waren. Einige Zeitungen, die gegen die Veröffentlichung der Karikaturen waren, übernahmen dann diese Bezeichnung. Ja, ich bin ein Freiheitsfanatiker, aber vielleicht nicht, wie die linke Presse das versteht. Ich verteidige kompromisslos die Meinungsfreiheit, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Gewalt da beginnt, wo Worte fehlen.
Aber kann Meinungsfreiheit grenzenlos sein?
Natürlich nicht, es gibt nichts, das keine Grenzen hat. Wir brauchen Grenzen, aber wir haben, wie ich finde, viel zu viele davon im Moment in Europa. Wir haben viele Tabus und viele rote Linien, und viele missbrauchen diese Tabus, um andere mundtot zu machen. Und ich sehe die Karikaturen-Affäre als einen Anfang, um über diese Problematik zu verhandeln. Ich habe sie immer als Indikator gesehen, der uns gezeigt hat, in welchem Zustand sich die Pressefreiheit und die Selbstzensur in Europa befinden.
Wie können wir den Widerspruch von Meinungsfreiheit und Respekt vor religiösen Gefühlen auflösen? Wer hat das Recht, rote Linien zu definieren, und wer hat das Recht, sie zu eliminieren?
Wir können miteinander einen Deal abschließen: Sie respektieren alles, was mir heilig ist, und kritisieren es nicht, und ich tue das Gleiche mit Ihren Heiligtümern. Das mag in der Theorie wunderbar funktionieren, in der Realität ist es aber beinahe unmöglich, denn wir leben in multireligiösen und multikulturellen Gesellschaften, und wenn jeder darauf besteht, dass seine heiligen Symbole unantastbar bleiben, dann kann kein Mensch mehr etwas sagen oder schreiben. Und oft werden die religiösen Gefühle als Mittel der Einschüchterung und Erpressung missbraucht, und dagegen wehre ich mich. Wenn wir miteinander auf eine natürliche Weise leben wollen, dann brauchen wir weniger rote Linien und nicht noch mehr davon. Und gerade Sie als Ägypter wissen, wie Ihr Präsident die roten Linien missbraucht, um seine Gegner zum Schweigen zu bringen. Sie kennen bestimmt den Aktivisten Saad El-Din Ibrahim, der Gefängnis und Exil erleiden musste, weil er angeblich Ägyptens Ruf im Ausland beschädigt hat.
Sie sagten, Gewalt beginnt, wo Worte fehlen. Was ist mit Worten, die zur Gewalt führen? Immerhin haben die Karikaturen einhundertfünfzig Menschen das Leben gekostet.
Die Lösung kann niemals in Gesetzen gegen die Beleidigung der Religionen liegen, sondern darin, dass die Betroffenen lernen sollten, mit ihren Emotionen anders umzugehen. Sie können nie kontrollieren, wie andere sich äußern, aber Sie können wohl ihre Reaktion darauf bändigen.
Und was ist mit Worten, die zur Gewalt oder Rassismus aufrufen? Hassprediger ist ein Begriff, der Ihnen geläufig sein muss. Sie gelten ja für viele als einer!
Auch da sehe ich keine Notwendigkeit von Anti-Hass- oder Anti-Diskriminierungsgesetzen. Wir müssen immer zwischen Worten und Taten unterscheiden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nachdem wir die Karikaturen veröffentlicht haben, stand eine Gruppe muslimischer Demonstranten vor der dänischen Botschaft in London mit einem Plakat, worauf geschrieben war: »Behead those who insult Islam«, köpft die, die den Islam beleidigen. Aus meiner Sicht dürfen sie das machen. Aber wenn einer von ihnen dies in die Tat umsetzt oder einen Molotow-Cocktail auf die Botschaft wirft, was oft der Fall war, dann muss er dafür juristisch verfolgt werden. Für mich gibt es nur drei Grenzen der Meinungsfreiheit, und sie sind alle in Europa strafbar: Erstens den direkten Aufruf zum Mord, wie zu sagen, geh und töte Abdel-Samad! Zweitens die Beschimpfung oder Diffamierung eines Menschen durch Lüge. Und drittens die Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Alles andere muss man über sich ergehen lassen.
Nach
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