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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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Bevölkerungen gegen die herrschenden Systeme mobilisieren konnten. Da die Mehrheit der Bevölkerung in den drei Fällen Bauern und einfache Arbeiter waren, waren sie vom System unabhängig und konnten es deshalb stürzen. Herrscher und Untertanen lebten in zwei getrennten Welten, und das machte die Revolte erst möglich. Zu einer deutschen Revolution kam es 1918 zwar, aber diese konnte breite Teile der Bevölkerung nicht erfassen, da die deutsche Gesellschaft zu urbanisiert war und die Bourgeoisie stark abhängig war von den Infrastrukturen des Systems.
    Ähnlich verhält es sich mit vielen islamischen Staaten und ihren Herrschaftssystemen. Nicht nur weil die Machthaber dort die Kontrolle über Armee, Geheimdienst, Polizei und Medien ausüben; nicht nur, weil der Staat der größte Arbeitgeber ist und das Monopol für die elementaren Konsumgüter wie Brot und Benzin hat, Muslime sind überall nicht nur abhängig vom System Staat, sondern auch vom Glaubenssystem Islam. Und diese beiden bilden seit dem dreizehnten Jahr der Existenz des Islam eine Einheit. Herrscher und Untertanen sind gleichermaßen dieser Einheit ausgeliefert. Beide verkörpern eine Geisteshaltung, die die Autorität vergöttlicht und die Revolution verpönt.
    Der Prophet Mohamed war ein Einzelgänger, hatte eine gewisse Sensibilität für soziale Fragen und wollte eine gesellschaftliche Revolution entfesseln. Er war mit den heidnischen Ritualen und der Vielgötterei in seiner Geburtsstadt Mekka Anfang des 7 . Jahrhunderts nicht einverstanden. Er träumte davon, den Glauben an den einen Gott in Arabien einzuführen und die Götzenbilder, die die heilige Kaaba umzingelten, zu beseitigen. Inspiriert dazu wurde er von den christlichen und jüdischen Geistlichen, die er auf seinen vielen Reisen als Karawanenhändler traf. Aber besonders beeinflusst wurde er zunächst durch einen christlichen Mönch in Mekka namens Waraqa, der ein Cousin von Mohameds erster Frau Khadija war. Erstaunlich wenig finden wir über diesen Mönch in der Biographie des Propheten, obwohl er anscheinend eine zentrale Rolle in seinem Leben spielte. Diese Biographie, über hundert Jahre nach dem Tode des Propheten von Ibn Ishaq geschrieben, listet sonst ausführlich Details auf über jede Person, die auch nur eine untergeordnete Rolle in der frühen Phase des Islam spielte. Aber Waraqa scheint sie bewusst zu umgehen. Dennoch wirft das, was über Waraqa dort steht, viele Fragen über die Entstehung des Korans und die Ambitionen des Propheten auf. Denn es war Waraqa gewesen, der Mohamed mit seiner Khadija verheiratete, und er war es, der Mohamed davon überzeugte, dass er der Prophet dieser Zeit sei, nachdem dieser Visionen über ein Gespräch zwischen ihm und dem Erzengel Gabriel in einer Höhle außerhalb von Mekka gehabt hatte. In Wirklichkeit sagt uns das, was über Waraqa verschwiegen wurde, mehr als das, was in der Biographie steht. Denn
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    Ein Forscher aus dem Libanon, der unter dem Pseudonym Abu Mousa Al-Hariri schreibt, veröffentlichte vor wenigen Jahren ein Buch mit dem Titel »Ein Mönch und ein Prophet«, das mittlerweile im Libanon verboten ist. Für ein Exemplar dieses Buches musste ich während eines Libanonaufenthalts mehr als einhundert US -Dollar bezahlen. In diesem Buch wagt der Autor die These, der alte Mönch Waraqa hätte ein arabisches Christentum unabhängig vom hellenisierten Christentum Roms und Alexandriens gründen wollen. Er glaubte, dass Jesus nicht der Sohn Gottes war, und war dabei, ein hebräisches Evangelium ins Arabische zu übersetzen, das von den anderen Evangelien deutlich abweicht. Waraqa wollte ein neues arabisches Christentum begründen. Ihm fehlten aber das Charisma und die Energie, darüber hinaus war er vermutlich zu alt. Charisma und Energie fand er beim ehrgeizigen und jungen Mohamed, der einen Ruf als aufrichtiger Mann und begnadeter Redner genoss. Die Visionen des alten Mönches, so Al-Hariri, vermischten sich mit denen des jungen, und so taten es auch die Texte. Aus dieser Verschmelzung sei der Koran, zumindest in Teilen, entstanden.
    Seine These stützt eine einzige Stelle aus dem Werk eines früheren muslimischen Hadith-Sammlers namens Al-Bukhari, der schreibt: »Dann starb Waraqa, danach hörte die Offenbarung auf.« In der Tat berichtet der Koran von einer langen Periode der Unterbrechung der Offenbarung, die den Propheten in eine Phase der Depression und Verzweiflung stürzte, dachte er doch, Gott habe

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