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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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    Lange beschäftigte mich dieser Zwischenfall, und ich fragte mich, warum eine Gemeinde, die im Namen der Gerechtigkeit und Freiheit entstand, sich so verkrampft und paranoid verhält. Die einzige Antwort, die mir einfiel, war, dass Isolation und das Gefühl der moralischen Überlegenheit gegenüber der Außenwelt zu einer Art Kulturinzest führen. Je mehr sich Einflüsse von außen vermehren; je mehr fremde Blicke sich auf das Reservat richten, desto unsicherer werden die Idealisten im Inneren; desto stärker werden der künstliche Zusammenhalt und die Solidarität unter den Mitgliedern der Schicksalsgemeinschaft zum Ausdruck kommen. Heute leben die meisten Christianiten auf Kosten des neoliberalen, kapitalistischen Staates, den sie abschaffen wollen. Elektrizität, Internet und alle Annehmlichkeiten der modernen Gesellschaft sind längst Bestandteil der unabhängigen Utopie. Aus den Aussteigern sind keine Weltveränderer geworden, sondern willenlose, dem Drogenrausch ausgelieferte Individuen, die ums nackte Überleben kämpfen. Aus der Vorhut der Weltrevolution sind nur noch unfreiwillige Spitzel der Drogendealer geworden.

    Genau in diesem Dilemma stecken viele Teile der islamischen Welt. Von der einst aufstrebenden neugierigen Kultur, die damals als eine soziale Revolution entstand und die Welt verändern wollte, sind heute nur noch paranoide Inzestkinder geblieben, die das innere Prinzip der damaligen Gemeinde verloren haben und sich nur noch mit Selbsterhalt beschäftigen. Im Rausch des uneinsichtigen Glaubens und der ungerechtfertigten Selbstverherrlichung bieten sie keine Alternative zur Außenwelt, sondern fallen ihr zur Last. Auf jeden Versuch, die veralteten Strukturen aufzulösen, wird mit Gewalt und Verkrampfung reagiert. Der Widerstand ist zum Selbstzweck geworden, weil die Kreativität und die Energie für nichts anderes ausreichen.
    Der Beginn des Zerfalls einer Gemeinschaft liegt in der Gründungsidee und in den Grenzen, die sie zu der Außenwelt zieht. Auch ihre Definition und Re-Definition des Auftrags, den sie für die Welt erfüllt, ist maßgebend. Isolation führt zu strengen Kodexen, die in Autoaggressionen münden. Eine Kultur frisst sich von innen auf, bevor sie die Gewalt nach außen trägt. Uneinsichtig besteht sie auf der Güte des selbsterteilten Auftrags und marschiert unbelehrbar zum eigenen Grab. Auf ihrem Weg dorthin reißt sie jedoch viele »Unbeteiligte« mit.

    Ich wollte eine zweite Meinung über Christiania einholen und traf mit meiner Frau die Lehrerin Benta, die allerdings sehr apologetisch war und alles Negative über Christiania als Verschwörung der neoliberalen Medien abtat. Sie versuchte, uns die Enklave als Paradies der Solidarität und des friedlichen Zusammenlebens zu verkaufen. Von den Drogenproblemen und der Gewalt in der Kolonie wollte sie nichts wissen. Sie erinnerte mich an meine ersten Monate in Deutschland, als ich versucht habe, die islamische Kultur als tadellos zu beschreiben und hartnäckig alle Schwachstellen, die ich ganz genau kannte, auszublenden. Die Unsicherheit, die die Begegnung mit Deutschland in mir damals auslöste, veranlasste mich, meine Kultur auf das schöne Wetter, das gute Essen und die freundlichen Menschen zu reduzieren. Das war nichts außer einer Umkehrung der Eigenschaften, die ich bei den Deutschen vermutete oder wahrzunehmen dachte.
    Viel nüchterner waren die Einschätzungen von Karsten über Christiania. Der gebürtige Hamburger lebt in der »Freistadt« seit 1979 , baute dort sein eigenes Haus direkt am Wasser und ist heute für die Baukommission in Christiania verantwortlich. Er leitet auch das örtliche Einkaufszentrum. Dort sollten wir uns treffen. Karsten konnten wir durch das Internet kontaktieren und mit ihm einen Termin vereinbaren. Nach Christiania kamen wir durch den anderen Eingang, um die Pusher Street zu umgehen. Wir nahmen die Fähre und kamen über die Uferseite in die Kolonie. Diesmal sah alles idyllisch und friedlich aus. Ökologisch gebaute Häuser, menschenleere Straßen und freilaufende Hunde. Ich kam mir vor wie in meinem Dorf in Ägypten vor dreißig Jahren. Das Einkaufszentrum entpuppte sich allerdings als ein kleiner Kiosk, den man von außen kaum erkennen kann. Skeptisch waren die Blicke des deutschen Aussteigers Karsten sowie die Blicke seiner Kunden auf uns, als wir den Laden betraten. Und dennoch dauerte es nicht lange, bis er uns zu sich nach Hause einlud, großzügig bekochte und sogar Marihuana

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