Der Untergang der Shaido
aber diese Begegnung hätte einen Stein auf die Probe gestellt. »Ihr habt viele Erklärungen«, sagte sie trocken. »Wollt Ihr Euch selbst überzeugen? Das wird nicht funktionieren, Beonin. Das wird es nicht. Wenn die Rebellion vorbei ist, wo ist dann die Flut der Schwestern, die kommen, um vor Elaida niederzuknien und ihre Buße auf sich zu nehmen? Beim Licht, was habt Ihr noch verraten? Alles?« Es erschien möglich. Sie hatte Elaidas Arbeitszimmer mehrmals in Telʹaranʹrhiod besucht, aber der Korrespondenzkasten der Frau war immer leer gewesen. Jetzt kannte sie den Grund.
Scharfe rote Flecken erschienen auf Beonins Wangen. »Ich sage Euch, ich habe nichts verrat…!« Sie endete mit einem erstickten Grunzen und legte eine Hand an den Hals, als wollte er die Lüge nicht auf ihrer Zunge liegen lassen. Das bewies, dass sie keine Schwarze Ajah war; aber es bewies noch viel mehr.
»Ihr habt die Spione verraten. Sind sie alle unten in den Zellen?«
Beonins Blick huschte den Korridor hinauf. Melavaire sprach mit ihrem Behüter; er neigte den Kopf zu ihr herunter. Stämmig oder nicht, er war größer als sie. Beonins Tervail beobachtete sie mit besorgter Miene. Die Entfernung war zu groß, als dass einer von ihnen hätte lauschen können, aber Beonin trat näher heran und senkte die Stimme. »Elaida, sie lässt sie beobachten, aber ich glaube, die Ajahs behalten ihre Erkenntnisse für sich. Nur wenige Schwestern wollen Elaida mehr sagen, als sie müssen. Es war nötig, das müsst Ihr verstehen. Ich konnte kaum in die Burg zurückkehren und ihre Existenz geheim halten. Man hätte das irgendwann entdeckt.«
»Dann müsst Ihr sie warnen.« Egwene schaffte es nicht, ihre Verachtung aus der Stimme herauszuhalten. Diese Frau spaltete Haare mit einer Rasierklinge! Sie benutzte die fadenscheinigste Entschuldigung, um ihre Entscheidung zu rechtfertigen, dass sie sich nicht länger an ihren Eid halten musste, und dann verriet sie die Frauen, bei deren Auswahl sie geholfen hatte. Blut und verdammte Asche!
Beonin schwieg einen langen Augenblick, fummelte an ihrer Stola herum, aber dann sagte sie überraschenderweise: »Ich habe Meidani und Jennet bereits gewarnt.« Das waren die beiden Grauen unter den Spioninnen. »Ich habe für sie getan, was ich konnte. Die anderen müssen allein schwimmen oder untergehen. Schwestern sind schon angegriffen worden, nur weil sie zu nahe bei den Quartieren anderer Ajahs waren. Ich, ich werde nicht nur mit meiner Stola bekleidet und voller Striemen zu meinen Gemächern zurückschleichen, nur um…«
»Betrachtet es als Buße«, unterbrach Egwene sie. Beim Licht! Man hatte Schwestern angegriffen? Die Dinge standen noch schlimmer, als sie gedacht hätte. Sie musste daran denken, dass ein gut gedüngter Boden ihrer Saat beim Blühen helfen würde.
Beonin schaute erneut in den Korridor hinauf, und Tervail machte einen Schritt auf sie zu, bevor sie den Kopf schüttelte. Trotz ihrer verfärbten Wangen war ihr Gesicht unbewegt, aber im Inneren musste sie aufgewühlt sein. »Ihr wisst, dass ich Euch zur Oberin der Novizinnen schicken könnte?«, sagte sie angespannt. »Wie ich gehört habe, jammert Ihr Silviana den halben Tag etwas vor. Euch würden noch mehr Besuche wohl kaum gefallen, oder?«
Egwene lächelte sie an. Keine zwei Stunden zuvor war es ihr gelungen, in dem Augenblick zu lächeln, in dem Silvianas Riemen nicht mehr fiel. Das hier war viel schwerer. »Wer weiß schon, was ich alles dabei von mir gebe? Vielleicht etwas über Eide?« Die Farbe wich aus Beonins Wangen und machte ihr Gesicht totenblass. Nein, sie konnte nicht wollen, dass das bekannt wurde. »Ihr mögt Euch selbst davon überzeugt haben, dass ich nicht länger die Amyrlin bin, Beonin, aber es ist Zeit, dass Ihr anfangt, Euch davon zu überzeugen, dass ich es noch immer bin. Ihr werdet die anderen warnen, ganz egal, welchen Preis Ihr dafür bezahlen müsst. Sagt Ihnen, sie sollen mich meiden, bis ich ihnen eine Nachricht zukommen lasse. Sie haben bereits mehr als genug Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Aber von jetzt an werdet Ihr jeden Tag zu mir kommen, für den Fall, dass ich Anweisungen für sie habe. So wie jetzt.« Schnell listete sie die Dinge auf, die sie in Gespräche einfließen lassen sollten. Shemerin, der man die Stola abnahm. Elaidas Verstrickung in die Katastrophen bei den Quellen von Dumai und der Schwarzen Burg, die Saat, die sie bereits gesät hatte. Aber jetzt würde sie nicht mehr nur eine nach der anderen
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