Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:
gemessen an den Umständen. Wir zogen also um.
    Unsere Direktorin Linda und das Kollegium hatten den Umzug gut vorbereitet. Es sollte keine Qualitätseinbuße geben, wir erhofften uns wieder ein stärkeres Zusammenrücken der Familien, eine Zunahme des Lerneifers, insgesamt also ein besseres Lernergebnis.
    Bereits am dritten Tag erlitten wir einen folgenschweren Rückschlag: Zwei Kinder der fünften Klasse verschwanden. Nach zehn Tagen wurde die Suche reduziert, schließlich gegen den Protest der Eltern eingestellt. Es mußte damit gerechnet werden, daß die Kleinen Opfer räuberischer Tiere geworden waren.
    Da die Kinder vom Schulbesuch nicht heimgekehrt waren, traf die Verantwortung das Kollegium.
    Aber nicht nur uns machte das Unglück zu schaffen. Es schien, als habe das Verschwinden der Kinder einen Mantel des Pessimismus über die Siedlung gebreitet, als werde nun erst allen Bürgern von Neuerde die Summe unglückseliger Ereignisse bewußt. Es ging eine durchgreifende Verunsicherung davon aus, die den Rat bewog, die Sicherheitsmaßnahmen für jedermann sicht- und spürbar zu verstärken. Es wurden Posten aufgestellt, Streifendienste eingerichtet und Alarmanlagen installiert. Allerorts – und verstärkt natürlich in der Schule – wurden regelmäßige kontrollfähige Belehrungen organisiert; es wurden Jagdkommandos gebildet, die im weiteren Umkreis der Siedlung das Raubzeug kurzhalten beziehungsweise ausrotten sollten.
    Das alles war nicht dazu angetan, die allgemeine Stimmung zu verbessern, zumal mit den Maßnahmen die Anforderungen an jeden einzelnen stiegen. Schließlich mußten die Wächter und Jäger und all die anderen, die mit der Erhöhung der Sicherheit befaßt wurden, aus den übrigen, an ebenfalls wichtigen Objekten Arbeitenden rekrutiert werden. Uns Lehrern wurde ein Wachdienst in der zweiten, dritten und vierten Schicht angewiesen. Da sich das natürlich auf den Unterricht auswirkte, protestierte Linda – vergeblich. Sie handelte sich einen Rüffel ein.
    Eine weitere Misere beeinträchtigte unser Leben und konkret den Unterricht: Natürlich mußte höchster Wert auf die schnelle Entwicklung einer eigenen Nahrungsgüterwirtschaft gelegt werden, unter Nutzung aller Ressourcen des Planeten. Das geschah auf zwei Wegen: Irdische Pflanzen – vor allem Getreide – und mitgebrachte Rinder, Schafe, Zie gen, Hühner und anderes Kleingetier mußten angepaßt, daneben Produkte aus Flora und Fauna von Neuerde auf ihre ernährungsrelevanten Werte untersucht und physiologisch aufbereitet, vielleicht einer Zuchtlinie zugeführt werden. An eine umfassende Synthetisierung von Nahrungsmitteln war vorerst nicht zu denken.
    Vom ersten Tag an wurde daher der Kultivierung der Feldbauareale höchste Bedeutung beigemessen. Wir setzten größte Hoffnungen in das Wachstum, auf kurze Vegetationszyklen und hohe Erträge – auf Grund der vorherrschenden Treibhausatmosphäre, des Feuchtigkeitsangebots. Nur vor Fäule und – vor allem bei Getreide – übermäßiger Nässe warnten die Experten.
    Die Flächen wurden bis auf den gewachsenen Boden gerodet, wobei die Hölzer, da sie nicht abbrannten, aufwendig entfernt, zum Teil als Häcksel in den Boden eingearbeitet wurden. Wir schätzten, die Bedingungen mußten für eine nennenswerte Ernte ausreichen, und schon nach siebzig Tagen wurde die erste Saat – Roggen – eingebracht. Aber noch bevor sich seine grünen Spitzen zeigten, schoß mit Vehemenz auf den Feldern anderes hervor. So leicht ließ sich der Urwald nicht verdrängen. Aus den offenbar tiefreichenden Wurzeln sproß in unterschiedlichen Zeitfolgen Neues auf. Nicht lange, und der Dschungel hätte sich das mühsam Bereitete erneut einverleibt.
    Also mußten die frischen Triebe ausgerissen, abgetrennt, getilgt werden, von Hand, versteht sich, und schonend, um die erwartete Saat nicht zu zerstören.
    Diese Aufgabe fiel den Kindern ab zehn Jahren zu. Es sollte vorübergehend sein, bis die Forscher herausgefunden hätten, welche unserer Pflanzengifte wirksam eingesetzt werden könnten. (Nun, bis heute ist das Problem nicht gelöst.)
    Anfangs wurden wir der Forderung einigermaßen gerecht, die Schläge waren verhältnismäßig klein, und wir Lehrer achteten durch persönlichen Einsatz auf die Qualität.
    Aber beinahe täglich gingen Flächen zu, und uns wurde, nachdem wir aufmerksam machten, daß wir nicht nachkämen, hartnäckig organisatorisches Unvermögen und mangelnde Effektivität vorgeworfen.
    Wir beschäftigten

Weitere Kostenlose Bücher