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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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ich ab. Dennoch hielt ich mich in Deckung bis zu den ersten Häusern, die mir den Eindruck vermittelten, es habe sich in Seestadt seit meinem letzten Besuch nichts verändert. Doch: Der Urwald begann nicht wie seinerzeit direkt hinter den Häusern des Straßendorfs, man hatte ihn gerodet, Felder und Gärten angelegt und zwischen den umgebenden Zäunen und dem Dschungel einen Weg gezogen, als patrouillierten hier Wachen. Diesen Weg schlug ich ein.
    Sofort zeigte sich ein Nachteil: Keiner der Bewohner von Seestadt würde am hellen Vormittag ohne Ziel und Aufgabe irgendwo umherlaufen, schon deshalb würde ich auffallen. Ich verdrängte den Ärger, das nicht gleich bedacht zu haben, und eilte zu meinem Versteck zurück. Dort rüstete ich mich mit dem Buschmesser und einem Tragebeutel aus und trat meinen Inspektionsgang erneut an.
    Trotz meiner »Tarnung« verhielt ich oft versteckt in Büschen, um mich gründlich umzusehen, Neues oder Leute zu entdecken. Offene Wegstellen überquerte ich geschäftig mit geneigtem Kopf, das Messer geschultert, wie jemand, der weiß, wohin und was er will.
    Mein erster Eindruck bestätigte sich nur bedingt. Nur der alte Teil von Seestadt vermittelte die Ansicht eines Straßendorfes. Nach einigen hundert Metern öffnete sich der Ort zu einer Art Marktplatz, auf den die radial angeordneten Wohnhäuser mit ihren Giebeln blickten, unter ihnen die Schule; und – mein Herz machte einen Hupfer – Unterricht fand in ihr statt! Ich hörte es an herausschallenden Kinderstimmen.
    Von diesem Platz weg, weiter nach dem Fluß zu, erweiterte sich Seestadt. Dort wurde gebaut und gehämmert, dort wimmelten Leute und heulten Motoren. Die Häuser hingegen, an denen ich vorbeiging, schienen leer.
    Zwei Dinge mußte ich von diesem Eindruck ableiten unter Zugrundelegung meiner Erfahrungen: Nach wie vor arbeiteten alle für die wesentlichen Gemeinschaftsobjekte, und sie wohnten zusammengepfercht, ansonsten wäre der Neubau von Häusern nicht in diesem Ausmaß notwendig; denn ein ganzer Straßenzug in Fließlinie befand sich im Entstehen. Dabei verwandte man merkwürdige Bauelemente, was den Einsatz des Materials anbetraf. Ich sah Kombinationen aus mitgebrachten, ramponierten Fertigteilen, manuell errichtetem Mauerwerk und einheimischen Hölzern, von denen ich wußte, daß sie stark der Fäulnis unterlagen, also mußten sie vor dem Einbau sicher gründlich präpariert werden. – Wie lange würden die mitgebrachten Mittel reichen? Wie lange die Häuser halten?
    Ich schickte mich an, immer beobachtend, Seestadt zu umrunden, ließ zwei Transporter passieren, die mit Stämmen aus dem Wald kamen und auf denen ich mit Wehmut zwei junge Burschen erkannte, die eigentlich auf den Bänken der neunten Klasse sitzen sollten. Also noch nicht normalisiert das Leben in Seestadt.
    Der Weg führte ziemlich dicht an den Baustellen vorbei. Eine Weile beobachtete ich aus sicherem Versteck. Etliche der arbeitenden Männer und Frauen kannte ich von Angesicht, einige mit Namen.
    Nun kann es sein, daß ich mir als eine Art Outsider schon eine eigene Sicht angeeignet hatte: Ich hatte unbedingt den Eindruck, die Menschen arbeiteten verbissener und freudloser als zu meiner Zeit. Doch mir kam zugute, daß kaum jemand aufsah.
    Am anderen Ortsausgang schlossen sich größere bestellte Feldflächen an. Auf einer der Spritrohrplantagen jätete eine mir nicht bekannte Schulklasse Unkraut, und von dort hörte ich, Hoffnung schöpfend, Schwatzen und ab und an ein Auflachen.
    Ich wurde gezwungen, einen großen Bogen zu laufen, um einigermaßen durch den Wald gedeckt zu sein. Die Feldfläche war riesig, für mich ein Zeichen, wie vorsorglich Gus und der Rat arbeiteten. Denn noch wäre die Vollernährung aus Vorräten möglich. Hochachtung empfand ich, wenn ich mir die Kürze der Zeit vorstellte, in der dies alles gerodet, vorbereitet und bestellt wurde, nachdem Ziel über Nacht aufgegeben worden war.
    In wenigen Dutzend Metern Entfernung mußte ich an einer großen Gruppe von Arbeitenden vorbei, die mit mehreren Bulldozern und Motorsägen dem Wald zu Leibe rückten, um offenbar weitere Anbauflächen zu schaffen. Ich traf auf die Gruppe, als sie gerade eine Pause machte, war also nicht durch Arbeitsgeräusche vorgewarnt.
    Da ich nicht abschätzen konnte, ob mich bereits einige wahrgenommen hatten, ein Umkehren mich dann also verdächtig gemacht hätte, beschloß ich weiterzugehen. Einen Schreck bekam ich, als ich glaubte, einige der Leute von

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