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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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erlebt werden, beruht die größere oder geringere Mitteilbarkeit des Geschauten, Empfundenen, Erkannten, das heißt des im Stil des eignen Seins Gestalteten durch die Ausdrucksmittel der Sprache, Kunst und Religion, durch Wortklänge, Formeln, Zeichen, die ihrerseits selbst Symbole sind. Zugleich erscheint hier die unverrückbare Grenze, fremden Wesen wirklich etwas mitzuteilen oder deren Lebensäußerungen wirklich zu verstehen. Der Verwandtschaftsgrad der beiderseitigen Formenwelten entscheidet darüber, wo das Begreifen in Selbsttäuschung übergeht. Wir können die indische und ägyptische Seele – offenbart in ihren Menschen, Sitten, Gottheiten, Urworten, Ideen, Bauten, Taten – sicherlich nur sehr unvollkommen verstehen. Den Griechen, ahistorisch wie sie waren, war auch die geringste Ahnung vom Wesen fremden Seelentums versagt. Man sehe, mit welcher Naivität sie in den Göttern und Kulturen aller fremden Völker ihre eignen wiederfanden. Aber auch wir unterlegen, wenn wir bei fremden Philosophen die Worte
αρχη atman, tao
mit uns geläufigen Wendungen übersetzen, dem fremden Seelenausdruck das
eigne
Weltgefühl, aus dem doch die Bedeutung unsrer Worte stammt. Ebenso deuten wir die Züge altägyptischer und chinesischer Bildnisse aus abendländischer Lebenserfahrung. In beiden Fällen täuschen wir uns. Daß die Meisterwerke der Kunst alter Kulturen für uns noch lebendig – »unsterblich« also – seien, gehört ebenfalls in den Kreis dieser »Ein-bildungen« im wörtlichen Sinne, die durch die Einmütigkeit des Andersverstehens aufrecht erhalten werden. Darauf beruht zum Beispiel die Wirkung der Laokoongruppe auf die Kunst der Renaissance und die der Dramen Senecas auf das klassizistische Drama der Franzosen.
2
    Symbole, als etwas Verwirklichtes, gehören zum Bereich des Ausgedehnten. Sie sind geworden, nicht werdend – auch wenn sie ein Werden bezeichnen – mithin starr begrenzt und den Gesetzen des Raumes unterworfen. Es gibt
nur
sinnlich-räumliche Symbole. Schon das Wort Form bezeichnet etwas Ausgedehntes im Ausgedehnten, und davon machen auch, wie wir sehen werden, die inneren Formen der Musik keine Ausnahme. Ausdehnung aber ist das Merkmal der Tatsache »Wachsein«, die nur eine Seite des Einzeldaseins bildet und mit dessen Schicksalen innerlichst verbunden ist. Deshalb ist jeder Zug des tätigen – empfindenden oder verstehenden – Wachseins in dem Augenblick, wo wir ihn bemerken, bereits
vergangen
. Wir können über Eindrücke nur
nach
denken, wie es mit bezeichnender Wendung heißt, aber was für das Sinnenleben der Tiere nur vergangen ist, ist für das wortgebundene Verstehen des Menschen
vergänglich
. Vergänglich ist nicht nur, was geschieht – denn kein Geschehnis läßt sich zurückrufen –, sondern auch jede Art von Bedeutung. Man verfolge das Schicksal der Säule, vom ägyptischen Grabtempel an, wo sie in Reihen den Wanderer geleitet, über den dorischen Peripteros, dessen Körper sie zusammenhält, und die früharabische Basilika, deren Innenraum sie stützt, bis zu den Fassaden der Renaissance, an welchen sie den aufstrebenden Zug zum Ausdruck bringt. Die Bedeutung von ehemals kehrt nie wieder. Was in das Reich des Ausgedehnten trat, hat mit dem Anfang auch ein Ende. Es besteht ein tiefer und früh gefühlter Zusammenhang
zwischen Raum und Tod
. Der Mensch ist das einzige Wesen, welches den Tod kennt. Alle andern werden älter, aber mit einer durchaus auf den Augenblick eingeschränkten Bewußtheit, die ihnen ewig erscheinen muß. Sie leben, aber sie wissen nichts vom Leben wie die Kinder in den frühesten Jahren, wo das Christentum sie noch als »unschuldig« betrachtet. Und sie sterben und sehen das Sterben, aber sie wissen nicht darum. Erst der ganz erwachte, der eigentliche Mensch, dessen Verstehen durch die Gewohnheit des Sprechens vom Sehen abgehoben ist, besitzt außer der Empfindung auch einen Begriff des Vergehens, das heißt ein Gedächtnis für das Vergangene und eine Erfahrung von Unwiderruflichem. Wir
sind
die Zeit, [Vgl. Bd. I, S. 158f.] aber wir
besitzen
auch ein Bild der Geschichte, und in diesem erscheint im Hinblick auf den Tod die Geburt als das andre Rätsel. Für alle übrigen Wesen verläuft das Leben ohne Ahnung seiner Grenzen, das heißt ohne ein Wissen um Aufgabe, Sinn, Dauer und Ziel. Mit tiefer und bedeutungsvoller Identität knüpft sich deshalb das Erwachen des Innenlebens in einem Kinde oft an den Tod eines Verwandten. Es begreift
plötzlich
den

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