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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Menschen mit unmittelbarer innerer Gewißheit etwas bezeichnet, das verstandesmäßig nicht mitgeteilt werden kann. Ein dorisches, früharabisches, frühromanisches Ornament, die Gestalt des Bauernhauses, der Familie, des Verkehrs, Trachten und Kulthandlungen, aber auch Antlitz, Gang und Haltung eines Menschen, ganzer Stände und Völker, die Spracharten und Siedlungsformen aller Menschen und Tiere und darüber hinaus die gesamte stumme Sprache der Natur mit ihren Wäldern, Triften, Herden, Wolken, Sternen, mit Mondnächten und Gewittern, Blühen und Welken, Nähe und Ferne ist sinnbildlicher Eindruck des Kosmischen auf uns, die wir wach sind und in Stunden der Einkehr diese Sprache wohl vernehmen; und anderseits ist es das Gefühl eines gleichartigen Verstehens, das Familien, Stände, Stämme und endlich ganze Kulturen aus dem allgemeinen Menschentum heraushebt und zusammenschließt.
    Es wird hier also nicht davon die Rede sein, was eine Welt »ist«, sondern was sie dem lebendigen Wesen bedeutet, das von ihr umgeben ist. Mit dem Erwachen zerdehnt sich für uns etwas zwischen einem Hier und einem Dort. Das Hier leben, das Dort erleben wir, jenes als eigen, dieses als fremd. Es ist die Entzweiung zwischen Seele und Welt als den Polen der Wirklichkeit, und in dieser gibt es nicht nur Widerstände, die wir als Dinge und Eigenschaften kausal erfassen, und Regungen, in denen wir Wesen, Numina »ganz wie wir selbst« wirken fühlen, sondern auch noch etwas, das die Entzweiung gleichsam aufhebt. Die Wirklichkeit – die Welt
in bezug
auf eine Seele – ist für jeden einzelnen die Projektion des Gerichteten in den Bereich des Ausgedehnten; sie ist das Eigne, das sich am Fremden spiegelt, sie
bedeutet ihn selbst
. Durch einen ebenso schöpferischen als unbewußten Akt – nicht »ich« verwirkliche das Mögliche, sondern »es« verwirklicht sich durch mich – wird die Brücke des Symbols geschlagen zwischen dem lebendigen Hier und Dort; es entsteht plötzlich und mit vollkommenster Notwendigkeit aus der Gesamtheit sinnlicher und erinnerter Elemente »
die
« Welt, die man
begreift,
für jeden einzelnen »
die
«
einzige
.
    Und deshalb gibt es so viele Welten, als es wache Wesen und im gefühlten Einklang lebende Scharen von Wesen gibt, und im Dasein jedes von ihnen ist die vermeintlich einzige, selbständige und ewige Welt – die jeder mit dem andern gemein zu haben glaubt ein immer neues, einmaliges, nie sich wiederholendes Erlebnis.
    Eine Reihe von Graden der Bewußtheit führt von den Uranfängen kindlich-dumpfen Schauens, in denen es noch keine klare Welt für eine Seele und keine ihrer selbst gewisse Seele inmitten einer Welt gibt, zu den höchsten Arten durchgeistigter Zustände, deren nur Menschen ganz reifer Zivilisationen fähig sind. Diese Steigerung ist zugleich eine Entwicklung der Symbolik vom Bedeutungsgehalt aller Dinge bis zum Hervortreten vereinzelter und bestimmter Zeichen. Nicht nur, wenn ich in der Art des Kindes, des Träumers, des Künstlers die Welt voll dunkler Bedeutungen hinnehme; nicht nur, wenn ich wach bin, ohne sie mit der gespannten Aufmerksamkeit des denkenden und tätigen Menschen aufzufassen – ein Zustand, der selbst im Bewußtsein des eigentlichen Denkers und Tatmenschen weit seltener herrscht als man glaubt –, sondern stets und immer, solange von wachem Leben überhaupt die Rede sein kann, verleihe ich dem Außer mir den Gehalt meines
ganzen
Selbst, von den halb träumerischen Eindrücken der Welthaftigkeit an bis zur starren Welt der kausalen Gesetze und Zahlen, die jene überlagert und bindet. Aber selbst dem reinen Reich der Zahlen fehlt das Symbolische nicht, und gerade ihm entstammen die Zeichen, in welche das grüblerische
Denken
unaussprechliche Bedeutungen legt: das Dreieck, der Kreis, die Sieben, die Zwölf.
    Dies ist die
Idee des Makrokosmos, der Wirklichkeit als dem Inbegriff aller Symbole in bezug auf eine Seele
. Nichts ist von dieser Eigenschaf t des Bedeutsamen ausgenommen. Alles, was ist, ist auch Symbol. Von der leiblichen Erscheinung an – Antlitz, Gestalt, Haltung von einzelnen, von Ständen, von Völkern –, wo man es immer gewußt hat, bis zu den vermeintlich ewigen und allgemeingültigen Formen der Erkenntnis, Mathematik und Physik spricht alles vom Wesen einer bestimmten und keiner andern Seele.
    Allein auf der größeren oder geringeren Verwandtschaft der einzelnen Welten untereinander, soweit sie von Menschen
einer
Kultur oder seelischen Gemeinschaft

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