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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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pflanzenhafter Fruchtbarkeit erwachsen. Auch hier erschöpft das Wort
soma
den ganzen Sinn der Erscheinung. Man denke an das Meisterwerk dieser Art, die drei mächtigen Frauenkörper im Ostgiebel des Parthenon, und vergleiche damit das erhabenste Bildnis einer Mutter, die sixtinische Madonna Raffaels. In ihr ist nichts Körperhaftes mehr. Sie ist ganz Ferne, ganz Raum. Die Helena der Ilias, an der
mütterlichen
Gefährtin Siegfrieds, Kriemhild, gemessen, ist Hetäre; Antigone und Klytämnestra sind Amazonen. Es ist auffallend, wie selbst Aischylos in der Tragödie seiner Klytämnestra die Tragik der Mutter mit Schweigen übergeht. Und die Gestalt der Medea ist vollends die mythische
Umkehrung
des faustischen Typus der Mater dolorosa. Nicht um der Zukunft, nicht um der Kinder willen ist sie da; mit dem Geliebten, dem Symbol des Lebens als einer reinen Gegenwart, versinkt ihr alles. Kriemhild rächt ihre ungeborenen Kinder. Diese Zukunft hatte man ihr gemordet. Medea rächt nur ein vergangenes Glück. Als die antike Plastik – eine Spätkunst, denn die orphische Frühzeit [Vgl. Bd. II, S. 902f.]
schaute
die Götter, aber
sah
sie nicht – daranging, das Bild der Götter zu verweltlichen, [Die Standespoesie Homers, darin der höfischen Erzählungskunst Boccaccios nahe verwandt, hatte allerdings damit begonnen. Daß aber die streng religiösen Kreise im ganzen Verlauf der Antike das als Profanation empfanden, lehrt der bei Homer durchschimmernde bildlose Kult, in noch höherem Grade aber der Zorn aller Denker, die wie Heraklit und Plato den Tempeltraditionen nahestanden. Man wird finden, daß die sehr späte schrankenlose Behandlung auch der höchsten Gottheiten durch die Kunst dem theatralischen Katholizismus von Rossini und Liszt nicht unähnlich ist, der sich leise schon bei Corelli und Händel ankündigt und schon 1564 beinahe zum Verbot der Kirchenmusik geführt hätte.] schuf sie eine antik-weibliche Idealgestalt, die – wie die knidische Aphrodite – lediglich ein schöner Gegenstand ist, kein Charakter, kein Ich, sondern ein Stück Natur. Praxiteles hat es deshalb endlich gewagt, eine Göttin völlig nackt darzustellen.
    Diese Neuerung fand strengen Tadel, aus dem Gefühl heraus, daß hier ein Zeichen des niedergehenden antiken Weltgefühls erscheine. So sehr sie der erotischen Symbolik entsprach, so sehr widersprach sie der Würde der älteren griechischen Religion. Aber eben jetzt wagt sich auch eine Bildniskunst hervor, und zwar gleich mit der Erfindung einer Form, die seitdem nicht wieder vergessen wurde:
der Büste
. Nur hat die Kunstforschung den Fehler begangen, auch hier wieder »die« Anfänge »des« Porträts zu entdecken. In Wirklichkeit redet ein gotisches Antlitz von einem individuellen Schicksal, und ein ägyptisches trägt trotz des strengen Schematismus der Figur die kenntlichen Züge einer Einzelperson, weil sie nur dann der höheren Seele des Toten, dem Ka, als Wohnsitz dienen konnte. Hier aber entwickelt sich ein Geschmack an
Charakterbildern
wie in der gleichzeitigen attischen Komödie, in der auch nur
Typen
von Menschen und Situationen vorkommen, denen man irgendeinen Namen gibt. Das »Porträt« ist nicht durch persönliche Züge, sondern nur durch den beigeschriebenen Namen gekennzeichnet. Das ist unter Kindern und Urmenschen die allgemeine Sitte und hängt tief mit dem Namenzauber zusammen. Mit dem Namen ist etwas vom Wesen des Genannten in den Gegenstand gebannt, und jeder Betrachter erblickt es nun auch darin. So müssen die Statuen der Tyrannenmörder in Athen, die – etruskischen – Königsstatuen auf dem Kapitol und die »ikonischen« Siegerbildnisse in Olympia gewesen sein: nicht »ähnlich«, sondern benannt. Aber dazu tritt nun das genrehaft-kunstgewerbliche Streben einer Zeit, die auch die korinthische Säule geschaffen hat. Man arbeitet die Typen der Lebensbühne heraus, das ηθοσ, was wir falsch mit Charakter übersetzen, denn es sind Arten und Sitten der öffentlichen Haltung: »der« ernste Feldherr, »der« tragische Dichter, »der« von Leidenschaft verzehrte Redner, »der« ganz in sich versunkene Philosoph. Erst von hier aus versteht man die berühmten Bildnisse des Hellenismus, die sehr mit Unrecht als Ausdruck tiefen Seelenlebens angesprochen werden. Es ist nicht sehr wichtig, ob das Werk den Namen eines längst Gestorbenen trägt – die Sophoklesstatue entstand um 340 – oder den eines Lebenden wie der Perikles des Kresilas. Erst nach 400 ging Demetrios von

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