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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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wirken als Strich und Farbenfleck in einem leidenschaftlichen Tiefenrhythmus. Und diese Ferne bedeutet nun auch Zukunft. Der Impressionismus fesselt den kurzen Augenblick, der einmal ist und nie wiederkehrt. Die Landschaft ist kein Sein und Verharren, sondern ein flüchtiger Moment ihrer
Geschichte
. Wie ein Bildnis Rembrandts nicht das anatomische Relief des Kopfes, sondern das
zweite Gesicht
in ihm anerkennt, wie es nicht das Auge, sondern den Blick, nicht die Stirn, sondern das Erlebnis, nicht die Lippen, sondern die Sinnlichkeit durch das Ornament der Pinselstriche bannt, so zeigt das impressionistische Gemälde überhaupt nicht die Natur des Vordergrundes, sondern auch da ein zweites Antlitz, den Blick, die Seele der Landschaft. Mag es sich um die katholisch-heroische Landschaft Lorrains, den
paysage intime
Corots, um das Meer, die Flußränder und Dörfer Cuyps und Van Goyens handeln, es entsteht immer ein Porträt im physiognomischen Sinne, etwas Einmaliges, Unvorhergesehenes und zum ersten und letzten Mal ans Licht Gezogenes. Gerade die Vorliebe für die Landschaft – die physiognomische, die Charakterlandschaft –, für das Motiv also, das im Freskostil gar nicht denkbar ist und der Antike vollkommen unzugänglich blieb, erweitert die Porträtkunst vom unmittelbar Menschlichen zum mittelbaren: zur Darstellung der Welt als eines Teils des Ich, der Welt, in welcher der Künstler sich gibt und der Betrachter sich wiederfindet. Denn in dieser sich in die Ferne dehnenden Natur spiegelt sich ein
Schicksal
. Es gibt in dieser Kunst tragische, dämonische, lachende, klagende Landschaften, etwas, wovon der Mensch andrer Kulturen keine Vorstellung und wofür er kein Organ hat. Wer dieser Formenwelt gegenüber die Illusionsmalerei des Hellenismus nennt, der weiß keinen Unterschied zwischen einer Ornamentik vom höchsten Range und einer seelenlosen Imitation, einer Nachäffung des Augenscheins. Wenn Lysipp nach Plinius gesagt hat, er stelle die Menschen dar, wie sie ihm
erscheinen
, so trifft das einen Ehrgeiz von Kindern, Laien und Wilden, aber nicht von Künstlern. Es fehlt der große Stil, die Bedeutung, die tiefe Notwendigkeit. So malten die Bewohner der steinzeitlichen Höhlen auch. Aber die hellenistischen Maler konnten in Wirklichkeit mehr, als sie wollten. Selbst noch die Wandgemälde in Pompeji und die Odysseelandschaften in Rom enthalten ein
Symbol
: sie stellen je eine
Gruppe von
Körpern
dar, darunter Felsen, Bäume und sogar, als Körper unter Körpern! – »das Meer«. Es entsteht keine Tiefe, sondern eine Aufreihung. Irgend etwas muß den Platz erhalten, der am wenigsten nah ist, aber diese technische Notwendigkeit hat mit der faustischen Verklärung des Fernen nichts zu tun.
18
    Ich sagte, daß die Ölmalerei am Ende des 17. Jahrhunderts, wo alle großen Meister kurz nacheinander starben, erlosch. Aber der Impressionismus im engeren Sinne ist ja eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts? Die Malerei hat also 200 Jahre länger geblüht oder dauert heute noch fort? Man täusche sich nicht. Zwischen Rembrandt und Delacroix oder Constable liegt eine tote Strecke, und was bei dem letzten beginnt, ist trotz aller Zusammenhänge in Hinsicht auf Technik und Vortrag sehr verschieden von dem, was mit dem ersten endete. Hier, wo von einer lebendigen Kunst von höchster Symbolik die Rede ist, zählen die rein dekorativen Künstler des 18. Jahrhunderts nicht mit. Täuschen wir uns auch nicht über den Charakter der neuen malerischen
Episode
, die jenseits von 1800, der Grenze von Kultur und Zivilisation, noch einmal die Illusion einer großen Kultur der Malerei erwecken konnte. Sie selbst hat ihr eigentliches Thema als Freilicht bezeichnet und damit den Sinn ihrer flüchtigen Erscheinung deutlich genug enthüllt.
Freilicht
– das ist die bewußte, intellektuelle und brutale Abwendung von dem, was man plötzlich »die braune Sauce« nannte und was, wie wir sahen, in den Bildern der großen Meister die eigentlich metaphysische Farbe war. Auf ihr baute sich die Malkultur der Schulen, vor allem der niederländischen auf, die im Rokoko rettungslos dahinschwand. Dies Braun, das Symbol räumlicher Unendlichkeit, das für den faustischen Menschen aus dem Gemälde ein seelenhaftes Etwas schuf, empfand man plötzlich als Unnatur. Was war geschehen? Beweist die Wandlung nicht, daß ebenso die
Seele
sich fortgestohlen hatte, für welche diese verklärte Farbe etwas Religiöses, ein Zeichen der Sehnsucht, der ganze Sinn einer

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