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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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innerster Notwendigkeit? Eine Tendenz, die in künstlerischen Schöpfungen hervortreten kann, die aber tausend andre Möglichkeiten kennt, um sich zu offenbaren? »
Der Raum
ist die Form a priori der Anschauung«, die Formel Kants – klingt das nicht wie ein Programm dieser Bewegung, die mit Lionardo anhebt? Der Impressionismus ist die Umkehrung des euklidischen Weltgefühls. Er sucht sich von der Sprache des Plastischen so weit als möglich zu entfernen und der des Musikalischen zu nähern. Man läßt die belichteten, das Licht zurückstrahlenden Dinge nicht auf sich wirken, weil sie da sind, sondern als ob sie »an sich«
nicht
da wären. Sie sind auch nicht Körper, sondern Lichtwiderstände im Raum, deren trügerische Dichte durch den Pinselstrich entlarvt wird. Man empfängt und gibt lediglich den
Eindruck
von solchen Widerständen, die man im stillen als bloße Funktionen einer »jenseitigen« (transzendenten) Ausgedehntheit wertet. Man durchdringt die Körper mit dem innern Auge, man löst den Zauber ihrer stofflichen Grenzen, man opfert sie der Majestät des Raumes. Und man fühlt mit und unter diesem Eindruck eine unendliche
Bewegtheit
des sinnlichen Elementes, die zu der statuenhaften Ataraxia des Fresko den stärksten Gegensatz bildet. Deshalb gibt es keinen hellenischen Impressionismus. Deshalb ist die antike Skulptur die Kunst, welche ihn von vornherein ausschließt.
    Der Impressionismus ist der umfassende Ausdruck eines Weltgefühls, und es versteht sich, daß er die gesamte Physiognomie unsrer späten Kultur durchdringt. Es gibt eine impressionistische, die optischen Grenzen mit Absicht und Nachdruck überschreitende Mathematik. Es ist die Analysis seit Newton und Leibniz. Zu ihr gehören die visionären Gebilde der Zahlkörper, Mengen, Transformationsgruppen, mehrdimensionalen Geometrien. Es gibt eine impressionistische Physik, die an Stelle von Körpern Systeme von Massenpunkten »sieht«, Einheiten, die lediglich als das konstante Verhältnis variabler Wirksamkeiten erscheinen. Es gibt eine impressionistische Ethik, Tragik, Logik. Es gibt im Pietismus auch ein impressionistisches Christentum.
    Malerisch und musikalisch handelt es sich um die Kunst, mit ein paar Strichen, Flecken oder Tönen ein in seinem Gehalte unerschöpfliches Bild, einen Mikrokosmos für Auge und Ohr eines faustischen Menschen zu schaffen, das heißt die Wirklichkeit des unendlichen Raumes durch die flüchtigste, fast körperlose Andeutung von etwas Gegenständlichem, das ihn gewissermaßen zwingt in Erscheinung zu treten, künstlerisch zu bannen. Es ist eine nie wieder gewagte Kunst der Bewegung des Unbeweglichen. Von Tizians Alterswerken bis herab auf Corot und Menzel zittert und fließt die duftige Materie unter der geheimnisvollen Wirkung des Pinselstrichs und der gebrochenen Farben und Lichter. Dasselbe erstrebt, im Unterschied von der eigentlichen Melodie, das »Thema« der Barockmusik, ein Tongebilde unter Mitwirkung aller Reize von Harmonie, instrumentaler Farbe, Takt und Tempo, das sich von der motivischen Arbeit des durchimitierenden Satzes der Zeit Tizians bis zum Leitmotiv Wagners entwickelt und eine ganze Welt von Gefühl und Erlebnis einschließt. Auf der Höhe der deutschen Musik dringt diese Kunst in die Lyrik deutscher Sprache ein – in der französischen ist sie unmöglich –, wo sie seit Goethes Urfaust und den letzten Gedichten Hölderlins eine Reihe von kleinen Meisterstücken gezeitigt hat, Stellen vom Umfang weniger Zeilen, die noch nicht bemerkt, geschweige denn gesammelt worden sind. Der Impressionismus ist die Methode subtilster künstlerischer Entdeckungen. Er wiederholt im Kleinen und Kleinsten fortwährend die Taten des Kolumbus und Kopernikus. Es gibt in keiner zweiten Kultur eine ornamentale Sprache von solcher Dynamik des Eindrucks bei einem so geringen Aufwand an Mitteln. Jeder farbige Punkt oder Strich, jeder kaum hörbare kurze Ton deckt überraschende Reize auf und führt der Einbildung immer neue Elemente von raumschaffender Energie zu. Bei Masaccio und Piero della Francesca sind
wirkliche Körper
von Luft umflossen. Erst Lionardo entdeckt die Übergänge von
atmosphärischem
Hell und Dunkel, die weichen Ränder, die mit der
Tiefe
verschwimmenden Umrisse, die Bereiche von Licht und Schatten, aus denen sich einzelne Gestalten nicht mehr lösen lassen. Endlich, bei Rembrandt, verfließen die Gegenstände zu bloßen farbigen Eindrücken; die Gestalten verlieren das spezifisch Menschliche; sie

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