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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Die Malerei genügte nicht mehr. Die Gruppe der hohen Künste wurde weiterhin vereinfacht. Um 1670, gerade damals, als Newton und Leibniz die Differentialrechnung entdeckten, war die Ölmalerei an der Grenze ihrer Möglichkeiten angelangt. Die letzten großen Meister starben, Velasquez 1660, Poussin 1665, Franz Hals 1666, Rembrandt 1669, Vermeer 1675, Murillo, Ruysdael und Lorrain 1682. Man braucht nur die wenigen Nachfolger von Bedeutung, Watteau, Hogarth, Tiepolo zu nennen, um den Abstieg, das Ende einer Kunst fühlen zu lassen. Eben jetzt hatten sich auch die großen Formen der
malerischen Musik
ausgelebt: mit Heinrich Schütz (1672), Carissimi (1674) und auch Purcell (1695) sterben die letzten Meister der Kantate, welche
bildhafte
Themen, durch das Farbenspiel von Vokal- und Instrumentalstimmen bis ins Unendliche variierte und von zierlichen Landschaften bis zu erhabenen Szenen der Legende wahrhafte Gemälde entwarf. Mit Lully (1687) ist die heroische Barockoper Monteverdis innerlich erschöpft. Und dasselbe gilt von den Arten der altklassischen Sonate für Orchester, Orgel und Streichtrio, die ebenfalls bildhafte Themen im Fugenstil durchimitieren. Die Formen der letzten Reife treten hervor, das Concerto grosso, die Suite und die dreiteilige Sonate für Soloinstrumente. Die Musik befreit sich von dem Rest des Körperlichen im Klange der menschlichen Stimme. Sie wird absolut. Das Thema verwandelt sich aus einem Bilde in eine prägnante
Funktion
, deren Dasein in Entwicklung besteht; den Fugenstil Bachs kann man nur als eine unendliche Differentation und Integration bezeichnen. Die Marksteine des Sieges der reinen Musik über die Malerei sind die im höchsten Alter entstandenen Passionen von Heinrich Schütz, in denen die neue Formensprache am Horizont erscheint, die Sonaten dall'Abacos und Corellis, die Oratorien Händels und die barocke Polyphonie Bachs. Von nun an ist diese Musik
die
faustische Kunst, und man darf Watteau einen malenden Couperin, Tiepolo einen malenden Händel nennen.
    Dieselbe Wendung erfolgt in der Antike um 460, als der letzte der großen Freskomaler, Polygnot, das Erbe des erhabenen Stils an Polyklet und damit an die freie Rundplastik abtritt. Bis dahin hatte die Formensprache einer reinen Flächenkunst auch die Statue beherrscht, selbst noch bei den Zeitgenossen Polygnots, bei Myron und den Meistern der Olympiagiebel. Wie jene das Formideal der
farbig ausgefüllten und mit einer Innenzeichnung versehenen Silhouette
immer weiter entwickelt hatte, wobei es zwischen dem bemalten Relief und dem Flachbild kaum einen Unterschied gab, so war auch für den Bildhauer der dem Betrachter erscheinende frontale
Umriß
das eigentliche Symbol des Ethos, das heißt des sittlichen Typus, den die Figur repräsentieren sollte. Das Giebelfeld eines Tempels ist ein
Bild
, und es will aus dem nötigen Abstand genau so betrachtet sein wie die gleichzeitigen Vasenbilder des rotfigurigen Stils. Mit der Generation Polyklets macht das monumentale Wandgemälde dem Tafelbild in Tempera- und Wachsfarbentechnik Platz, aber das bedeutet, daß der große Stil aufgehört hat, in dieser Kunstart seinen Sitz zu haben. Die Schattenmalerei des Apollodor hat den Ehrgeiz, durch
Rundmodellierung
der Figuren, denn es handelt sich durchaus nicht um atmosphärische Schatten, es dem Bildhauer gleichzutun, und von Zeuxis erklärt Aristoteles ausdrücklich, daß seinen Werken das Ethos gefehlt habe. Das stellt diese geistreiche und liebenswürdige Malerei neben die unseres 18. Jahrhunderts.
Beiden
fehlt die innere Größe und beide folgen mit ihrem Virtuosentum der Sprache der einzigen und letzten Kunst, welche die Ornamentik hohen Ranges vertritt. Deshalb gehören Polyklet und Phidias zu Bach und Händel, und wie diese den strengen Satz von den Methoden der malerischen Durchführung befreien, so haben jene die Statue vom Reliefmäßigen endgültig erlöst.
    Mit dieser Musik und dieser Plastik ist das Ziel erreicht. Eine reine Symbolik von mathematischer Strenge ist möglich geworden: das bedeutet der Kanon, jene Schrift Polyklets über die Proportionen des menschlichen Körpers und als Gegenstück dazu die »Kunst der Fuge« und das »Wohltemperierte Klavier« seines »Zeitgenossen« Bach. Diese beiden Künste leisten das Äußerste und Letzte an Deutlichkeit und Intensität der reinen Form. Man vergleiche doch den Tonkörper der faustischen Instrumentalmusik und in ihm wieder den Streichkörper und bei Bach auch noch den als Einheit

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