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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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lebendigen Natur gewesen war? Der Materialismus der westeuropäischen Weltstädte blies in die Asche und rief diese seltsame und kurze Nachblüte von zwei Malergenerationen hervor – denn mit der Generation Manets war alles wieder zu Ende. Ich hatte das erhabene Grün Grünewalds, Lorrains, Giorgiones als die katholische Farbe des Raumes bezeichnet und das transzendente Braun Rembrandts als die Farbe des protestantischen Weltgefühls. Das Freilicht, das jetzt eine neue Farbenskala entfaltet, bezeichnet demgegenüber die Irreligion. [Es war deshalb ganz unmöglich, vom Freilicht aus zu einer echt religiösen Malerei zu kommen. Das in der Malerei liegende Weltgefühl ist bis zu dem Grade irreligiös und nur für eine »Vernunftreligion« gültig, daß jeder der zahlreichen, ehrlich gemeinten Versuche hohl und unwahr wirkt (Uhde, Puvis de Chavannes). Ein einziges Freilichtbild verweltlicht sofort das Innere einer Kirche und setzt sie zu einem Ausstellungsraum herab.] Der Impressionismus ist aus den Sphären Beethovenscher Musik und Kantischer Sternenräume auf die Erdoberfläche zurückgekehrt. Dieser Raum ist erkannt, nicht erlebt, gesehen, nicht geschaut; es ist Stimmung darin, nicht Schicksal; es ist das mechanische Objekt der Physik und nicht die gefühlte Welt der pastoralen Musik, was Courbet und Manet in ihre Landschaften bringen. Was Rousseau mit tragisch treffendem Ausdruck als Rückkehr zur Natur prophezeit hatte, vollzieht sich in dieser sterbenden Kunst. So kehrt ein Greis von Tag zu Tag »zur Natur zurück«. Der neue Künstler ist Arbeiter, nicht Schöpfer. Er stellt ungebrochene Spektralfarben nebeneinander. Die feine Handschrift, der Tanz der Pinselstriche macht groben Gewohnheiten Platz: Punkte, Quadrate, breite anorganische Massen werden aufgetragen, vermengt, verbreitet. Neben dem breiten, flachen Pinsel erscheint der Spachtel als Werkzeug. Der Ölgrund der Leinwand wird in die Wirkung einbezogen und bleibt stellenweise frei. Eine gefährliche Kunst, peinlich kalt, krank, für überfeinerte Nerven, aber wissenschaftlich bis zum äußersten, energisch in allem, was die Bewältigung technischer Widerstände angeht, programmatisch zugespitzt: es ist das Satyrspiel zur großen Ölmalerei von Lionardo bis Rembrandt. Sie konnte nur in dem Paris Baudelaires zu Hause sein. Corots silberne Landschaften in ihren graugrünen und braunen Tönen träumen noch von dem
Seelischen
der alten Meister. Courbet und Manet erobern den kahlen physikalischen Raum, den Raum als »Tatsache«. Der versonnene Entdecker Lionardo macht dem malenden Experimentator Platz. Corot, das ewige Kind, Franzose, nicht Pariser, fand seine jenseitigen Landschaften überall, Courbet, Monet, Manet, Cézanne porträtieren ein und dieselbe Örtlichkeit immer wieder, peinlich, mühsam, arm an Seele, den Wald von Fontainebleau oder die Seineufer von Argenteuil oder jenes merkwürdige Tal bei Arles. Rembrandts mächtige Landschaften liegen durchaus im Weltraume, die Manets in der Nähe einer Bahnstation. Die Freilichtmaler, echte Großstädter, nahmen von den kühlsten Spaniern und Holländern, Velasquez, Goya, Hobbema und Franz Hals die Musik des Raumes, um sie – mit Hilfe der englischen Landschafter und später der Japaner, intellektueller und hochzivilisierter Köpfe – ins Empirische und Naturwissenschaftliche zu übersetzen. Es ist der Unterschied von Naturerlebnis und Naturwissenschaften, von Herz und Kopf, von Glauben und Wissen.
    Anders in Deutschland. In Frankreich war eine große Malerei abzuschließen, hier war sie nachzuholen. Denn der malerische Stil von Rottmann, Wasmann, K. D. Friedrich und Runge bis zu Marées und Leibl setzt alle Glieder der Entwicklung voraus; sie liegen dem Technischen zugrunde, und wo auch eine Schule den neuen Stil pflegen will, bedarf sie einer geschlossenen inneren Tradition. Hierin beruht die Schwäche und Stärke der letzten deutschen Malerei. Die Franzosen besaßen eine eigne Überlieferung vom frühen Barock bis auf Chardin und Corot herab. Zwischen Lorrain und Corot, Rubens und Delacroix besteht ein lebendiger Zusammenhang. Aber alle großen Deutschen des 18. Jahrhunderts waren, als Künstler,
Musiker
geworden. Daß diese Musik, ohne ihr innerstes Wesen zu verändern, seit Beethoven doch noch einmal in Malerei umschlug,
ist eine Seite der deutschen Romantik
. Hier hat sie am längsten geblüht, hier ihre liebenswürdigsten Früchte getragen. Denn diese Köpfe und Landschaften sind eine heimliche,

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