Der Untergang des Abendlandes
voll idiotischer, exotischer und Plakateffekte, eine erlogene Architektur, die auf dem Formenschatz vergangener Jahrtausende alle zehn Jahre einen neuen Stil »begründet«, in dessen Zeichen jeder tut, was er will, eine erlogene Plastik, die Assyrien, Ägypten und Mexiko bestiehlt. Und trotzdem kommt dies allein, der Geschmack von Weltleuten, als Ausdruck und Zeichen der Zeit in Betracht. Alles übrige, das demgegenüber an den alten Idealen »festhält«, ist eine bloße Angelegenheit von Provinzialen.
Die große Ornamentik der Vergangenheit ist eine tote Sprache geworden wie Sanskrit und Kirchenlatein. Statt ihrer Symbolik zu dienen, wird ihre Mumie, ihre Hinterlassenschaft an fertigen Formen verwertet, gemengt, vollkommen anorganisch abgeändert. Jede Modernität hält Abwechslung für Entwicklung. Die Wiederbelebungen und Verschmelzungen alter Stile treten an die Stelle wirklichen Werdens. Auch Alexandria hatte seine präraffaelitischen Hanswurste, mit Vasen, Stühlen, Bildern und Theorien, seine Symbolisten, Naturalisten und Expressionisten. In Rom gibt man sich bald gräko-asiatisch, bald gräko-ägyptisch, bald archaisch, bald – nach Praxiteles – neuattisch. Das Relief der 19. Dynastie, der ägyptischen Modernität, das massenhaft, sinnlos anorganisch Wände, Statuen, Säulen überzieht, wirkt wie eine Parodie auf die Kunst des Alten Reiches. Der ptolemäische Horustempel in Edfu endlich ist in der Leerheit willkürlich gehäufter Formen nicht mehr zu überbieten. Das ist der prahlerische und aufdringliche Stil unsrer Straßen, monumentalen Plätze und Ausstellungen, obwohl wir uns erst am Anfang dieser Entwicklung befinden.
Endlich erlischt selbst die Kraft, etwas anderes auch nur zu wollen. Schon der große Ramses eignete sich Bauten seiner Vorgänger an, indem er in Inschriften und Reliefszenen die Namen ausmeißeln und durch den eigenen ersetzen ließ. Es ist dasselbe Eingeständnis künstlerischer Ohnmacht, das Konstantin veranlaßte, seinen Triumphbogen in Rom mit Skulpturen zu schmücken, die von andern Bauwerken abgenommen waren. Viel früher, seit 150 v. Chr. etwa, beginnt im Bereich der antiken Kunst die Technik der Kopien nach alten Meisterwerken, nicht, weil man diese noch irgend verstanden hätte, sondern weil man Originale nicht mehr selbständig hervorzubringen verstand. Denn man bemerke wohl: diese Kopisten waren
die Künstler der Zeit.
Ihre Arbeiten, je nach der Mode in diesem oder jenem Stil ausgeführt, bezeichnen das Maximum der damals vorhandenen Gestaltungskraft. Sämtliche römischen Bildnisstatuen, ob männlich oder weiblich, gehen auf eine ganz kleine Zahl hellenischer Typen der Stellung und Gebärde zurück, die für den Torso mehr oder weniger stilecht kopiert werden, während der Kopf mit einer primitiven handwerksmäßigen Treffsicherheit »ähnlich« gemacht wird. Die berühmte Panzerstatue des Augustus z. B. ist nach dem Doryphoros des Polyklet gearbeitet. So etwa verhält sich – um die ersten Vorzeichen des entsprechenden Stadiums im Abendlande zu nennen – Lenbach zu Rembrandt und Makart zu Rubens. 1500 Jahre lang, von Ahmose I. bis auf Kleopatra herab, hat der Ägyptizismus in derselben Weise Bildwerke auf Bildwerke gehäuft. An Stelle des vom Alten bis zum Ausgang des Mittleren Reichs sich entwickelnden großen Stils herrschen
Moden
, die den Geschmack bald dieser, bald jener Dynastie wiederaufleben lassen. Unter den Turfanfunden befinden sich Reste indischer Dramen aus der Zeit um Christi Geburt, die den um Jahrhunderte späteren des Kalidasa völlig gleich sind. Die uns bekannte chinesische Malerei zeigt mehr als ein Jahrtausend hindurch das Auf und Ab wechselnder Stilmoden, keine Entwicklung, und es muß schon zur Hanzeit so gewesen sein. Das letzte Ergebnis ist ein feststehender, unermüdlich kopierter Formenschatz, wie ihn uns heute die indische, chinesische und arabisch-persische Kunst zeigen, nach welchem Bilder und Gewebe, Verse und Gefäße, Möbel, Dramen und Musikstücke gearbeitet werden, ohne daß die Zeit der Entstehung sich aus der Sprache der Ornamentik auch nur auf Jahrhunderte, geschweige denn Jahrzehnte bestimmen ließe, wie es in
allen
Kulturen bis zum Ausgang der Spätzeit der Fall war.
Fünftes Kapitel: Seelenbild und Lebensgefühl
I. Zur Form der Seele
1
Jeder Philosoph von Beruf ist gezwungen, ohne ernstliche Nachprüfung an das Dasein eines Etwas zu glauben, das sich in seinem Sinne verstandesmäßig behandeln läßt, denn seine ganze
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