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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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geistige Existenz hängt von dieser Möglichkeit ab. Es gibt deshalb für jeden noch so skeptischen Logiker und Psychologen einen Punkt, an welchem die Kritik schweigt und der Glaube beginnt, wo selbst der strengste Analytiker aufhört, seine Methode – gegen sich selbst nämlich und auf die Frage der Lösbarkeit, selbst des Vorhandenseins seiner Aufgabe – anzuwenden. Den Satz: Es ist möglich, durch das Denken die Formen des Denkens festzustellen, hat Kant nicht bezweifelt, so zweifelhaft er dem Nichtphilosophen erscheinen mag. Den Satz: Es gibt eine Seele, deren Struktur wissenschaftlich zugänglich ist; was ich durch kritische Zerlegung bewußter Daseinsakte in Gestalt von psychischen »Elementen«, »Funktionen«, »Komplexen« feststelle, das ist meine Seele – hat noch kein Psychologe bezweifelt. Gleichwohl hätten die stärksten Zweifel sich hier einstellen sollen. Ist eine abstrakte Wissenschaft vom Seelischen überhaupt möglich? Ist, was man auf diesem Wege findet, identisch mit dem, was man sucht? Warum ist alle Psychologie, nicht als Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, sondern als Wissenschaft genommen, von jeher die flachste und wertloseste aller philosophischen Disziplinen geblieben, in ihrer völligen Leerheit ausschließlich der Jagdgrund mittelmäßiger Köpfe und unfruchtbarer Systematiker? Der Grund ist leicht zu finden. Die »empirische« Psychologie hat das Unglück, nicht einmal ein Objekt im Sinne irgend einer wissenschaftlichen Technik zu besitzen. Ihr Suchen und Lösen von Problemen ist ein Kampf mit Schatten und Gespenstern. Was ist das – Seele? Könnte der bloße Verstand eine Antwort geben, so wäre die Wissenschaft bereits überflüssig.
    Keiner der tausend Psychologen unsrer Tage hat eine wirkliche Analyse oder Definition »des« Willens, der Reue, der Angst, der Eifersucht, der Laune, der künstlerischen Intuition geben können. Natürlich nicht, denn man zergliedert nur Systematisches und man definiert nur Begriffe durch Begriffe. Alle Feinheiten des geistigen Spiels mit begrifflichen Distinktionen, alle vermeintlichen Beobachtungen vom Zusammenhang sinnlich-körperlicher Befunde mit »inneren Vorgängen« berühren nichts von dem, was hier in Frage steht. Wille – das ist kein Begriff, sondern eine Name, ein Urwort wie Gott, ein Zeichen für etwas, dessen wir innerlich unmittelbar gewiß sind, ohne es jemals beschreiben zu können.
    Dasjenige, was hier gemeint ist, bleibt der gelehrten Forschung für immer unzugänglich. Nicht umsonst warnt jede Sprache mit ihren tausendfach sich verwirrenden Bezeichnungen davor, Seelisches theoretisch aufteilen, es systematisch ordnen zu wollen. Hier ist nichts zu ordnen. Kritische – »scheidende« – Methoden beziehen sich allein auf die Welt als Natur. Eher ließe sich ein Thema von Beethoven mit Seziermesser oder Säure zerlegen, als die Seele durch Mittel des abstrakten Denkens. Naturerkenntnis und Menschenkenntnis haben in Ziel, Weg und Methode nichts gemein. Der Urmensch erlebt »die Seele« zuerst in andern Menschen und dann auch in sich als
numen,
wie er
numina
in der Außenwelt kennt, und er legt seine Eindrücke in mythischer Weise aus. Die Worte dafür sind Symbole, Klänge, die dem Verstehenden etwas Unbeschreibliches bedeuten. Sie rufen Bilder herauf,
Gleichnisse,
und in einer andern Sprache haben wir auch heute noch nicht gelernt, uns über Seelisches mitzuteilen. Rembrandt kann denen, die ihm innerlich verwandt sind, durch ein Selbstbildnis oder eine Landschaft etwas von seiner Seele verraten, und Goethe gab es ein Gott, zu sagen, wie er leide. Man kann von gewissen Seelenregungen, die in Worte nicht zu fassen sind, andern ein Gefühl durch einen Blick, ein paar Takte einer Melodie, eine kaum merkliche Bewegung vermitteln. Das ist die wahre Sprache von Seelen, die Fernstehenden unverständlich bleibt. Das Wort als Laut, als poetisches Element, kann hier die Beziehung herstellen, das Wort als Begriff, als Element wissenschaftlicher Prosa nie.
    »Die Seele« ist für den Menschen, sobald er nicht nur lebt und fühlt, sondern aufmerksam wird und beobachtet,
ein Bild
, das aus ganz ursprünglichen Erfahrungen von Tod und Leben stammt. Es ist so alt, wie das durch die Wortsprachen vom Sehen abgelöste und ihm folgende Nach-denken überhaupt. Die Umwelt
sehen
wir; da jedes freibewegliche Wesen sie auch verstehen muß, um nicht unterzugehen, so entwickelt sich aus der täglichen kleinen, technischen, tastenden Erfahrung ein

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