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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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eine linienhafte Melodie ringt sich nicht mehr aus den vagen Tonmassen los, die in seltsamen Wogen einen imaginären Raum heraufrufen. Das Motiv taucht aus dunkler und furchtbarer Tiefe auf, flüchtig von einem grellen Licht überstrahlt; plötzlich steht es in schrecklicher Nähe; es lächelt, es schmeichelt, es droht; bald ist es im Reiche der Streichinstrumente verschwunden, bald nähert es sich wieder aus endlosen Fernen, von einer einzelnen Oboe leise variiert, mit einer immer neuen Fülle seelischer Farben. Alles das ist weder Malerei noch Musik, wenn man an die voraufgehenden Werke des strengen Stils denkt. Als Rossini befragt wurde, was er von der Musik der »Hugenotten« halte, antwortete er: »Musik? – Ich habe nichts dergleichen gehört.« Genau dasselbe Urteil hörte man in Athen über die neuen Malkünste der asiatischen und sikyonischen Schule, und nicht viel anders wird es im ägyptischen Theben über die Kunst von Knossos und Tell el Amarna gelautet haben.
    Alles, was Nietzsche von Wagner gesagt hat, gilt auch von Manet. Scheinbar eine Rückkehr zum Elementarischen, zur Natur gegenüber der Inhaltsmalerei und der absoluten Musik, bedeutet ihre Kunst ein Nachgeben vor der Barbarei der großen Städte, der beginnenden Auflösung, wie sie sich im Sinnlichen in einem Gemisch von Brutalität und Raffinement äußert, einen Schritt, der notwendig der letzte sein mußte. Eine künstliche Kunst ist keiner organischen Fortentwicklung fähig. Sie bezeichnet das Ende.
    Daraus folgt – ein bitteres Eingeständnis –, daß es mit der abendländischen bildenden Kunst unwiderruflich zu Ende ist. Die Krisis des 19. Jahrhunderts war der Todeskampf. Die faustische Kunst stirbt, wie die apollinische, die ägyptische, wie jede andere an Altersschwäche, nachdem sie ihre innern Möglichkeiten verwirklicht, nachdem sie im Lebenslauf ihrer Kultur ihre Bestimmung erfüllt hat.
    Was heute als Kunst betrieben wird, ist Ohnmacht und Lüge, die Musik nach Wagner so gut wie die Malerei nach Manet, Cézanne, Leibl und Menzel.
    Man suche doch die großen Persönlichkeiten, welche die Behauptung rechtfertigen, daß es noch eine Kunst von schicksalhafter Notwendigkeit gebe. Man suche nach der
selbstverständlichen und notwendigen
Aufgabe, die auf sie wartet. Man gehe durch alle Ausstellungen, Konzerte, Theater und man wird nur betriebsame Macher und lärmende Narren finden, die sich darin gefallen, etwas – innerlich längst als überflüssig Empfundenes für den Markt herzurichten. Auf welcher Stufe der innern und äußern Würde steht heute alles, was Kunst und Künstler heißt! In der Generalversammlung irgendeiner Aktiengesellschaft oder unter den Ingenieuren der erstbesten Maschinenfabrik wird man mehr Intelligenz, Geschmack, Charakter und Können bemerken als in der gesamten Malerei und Musik des gegenwärtigen Europa. Es hat immer auf einen großen Künstler hundert überflüssige gegeben, welche Kunst machten. Aber solange es eine große Konvention und also eine echte Kunst gab, machten selbst sie etwas Tüchtiges. Man konnte diesen hundert ihr Dasein verzeihen, weil sie im
Ganzen
der Tradition der Boden waren, der den einen trug. Aber heute sind nur diese Zehntausend am Werke, »um zu leben« – wovon man die Notwendigkeit nicht einsieht und so viel ist gewiß: man könnte heute alle Kunstanstalten schließen, ohne daß die
Kunst
davon auch nur berührt würde. Wir dürfen uns nur in das Alexandria des Jahres 200 v. Chr. versetzen, um den Kunstlärm, kennen zu lernen, mit dem eine weltstädtische Zivilisation sich über den Tod ihrer Kunst zu täuschen versteht. Dort, wie heute in den Weltstädten Westeuropas, eine Jagd nach den Illusionen einer künstlerischen Fortentwicklung, der persönlichen Eigenart, des »neuen Stils«, der »ungeahnten Möglichkeiten«, ein theoretisches Geschwätz, eine anspruchsvolle Haltung tonangebender Künstler wie die von Akrobaten, die mit Zentnergewichten von Pappe hantieren (»hodlern«), der Literat statt des Dichters, die schamlose Farce des Expressionismus als ein Stück Kunstgeschichte, das der Kunsthandel organisiert hat, das Denken, Fühlen und Formen als Kunstgewerbe. Auch Alexandria hatte seine Problemdramatiker und Regiekünstler, die man Sophokles vorzog, und seine Maler, die neue Richtungen erfanden und ihr Publikum verblüfften. Was besitzen wir heute unter dem Namen »Kunst«? Eine erlogene Musik voll von künstlichem Lärm massenhafter Instrumente, eine verlogene Malerei

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