Der Untergang des Abendlandes
Seelenbild stehen einander schroff gegenüber. Alle früheren Gegensätze tauchen wieder auf. Man darf die imaginäre Einheit hier als
Seelenkörper,
dort als
Seelenraum
bezeichnen. Der Körper besitzt Teile, im Raum verlaufen Prozesse. Der antike Mensch empfindet seine Innenwelt plastisch. Das verrät schon der Sprachgebrauch bei Homer, in dem vielleicht uralte Tempellehren durchschimmern, darunter die von den Seelen im Hades, die ein wohl erkennbares Abbild des Körpers sind. So sieht sie auch die vorsokratische Philosophie. Ihre drei schön geordneten Teile – λογιστιχον επιθυμητιχον, θυμοειδεσ– erinnern an die Gruppe des Laokoon.
Wir
stehen unter einem musikalischen Eindruck: die Sonate des inneren Lebens hat den Willen als Hauptthema; Denken und Fühlen sind die Nebenthemen; der Satz unterliegt den strengen Regeln eines seelischen Kontrapunkts, die zu finden Aufgabe der Psychologie ist. Die einfachsten Elemente unterscheiden sich wie antike und abendländische Zahlen: dort sind sie Größen, hier Beziehungen. Der
seelischen Statik
des apollinischen Daseins – dem stereometrischen Ideal der σωφροσυνη und αταραξια – steht die
Seelendynamik
des faustischen gegenüber.
Das apollinische Seelenbild – Platos Zweigespann mit dem νουσ als Lenker – verflüchtigt sich sofort mit der Annäherung an das magische Seelentum der arabischen Kultur. Es verblaßt schon in der späteren Stoa, deren Schulhäupter vorwiegend aus dem aramäischen Osten stammten. In der frühen Kaiserzeit ist es selbst in der stadtrömischen Literatur nur noch als Reminiszenz anzutreffen.
Das magische Seelenbild trägt die Züge eines strengen
Dualismus zweier rätselhafter Substanzen, Geist und Seele
. Zwischen ihnen herrscht weder das antike, statische, noch das abendländische, funktionale Verhältnis, sondern ein völlig anders gestaltetes, das sich eben nur als magisch bezeichnen läßt. Man denke im Gegensatz zur Physik Demokrits und zu der Galileis an die Alchymie und den Stein der Weisen. Dies spezifisch morgenländische Seelenbild liegt mit innerer Notwendigkeit allen psychologischen, vor allem auch theologischen Betrachtungen zugrunde, welche die »gotische« Frühzeit der arabischen Kultur (0-300) erfüllen. Das Johannesevangelium zählt nicht weniger dazu wie die Schriften der Gnostiker und Kirchenväter, der Neuplatoniker und Manichäer, die dogmatischen Texte im Talmud und Awesta und die sich ganz religiös äußernde Altersstimmung des Imperium Romanum, die das wenige Lebendige in ihrem Philosophieren dem jungen Orient, Syrien und Persien entnahm. Schon der große Poseidonios, trotz der antiken Außenseite seines ungeheuren Wissens ein echter Semit und von früharabischem Geiste, empfand im innerlichsten Gegensatz zum apollinischen Lebensgefühl diese magische Struktur der Seele als die wahre. Eine den Leib durchdringende Substanz befindet sich in deutlichem
Wert
unterschied gegen eine zweite, die sich aus der Welthöhle in die Menschheit herabläßt, abstrakt, göttlich, auf welcher der Consensus aller an ihr Teilhabenden beruht. Dieser »Geist« ist es, der die höhere Welt hervorruft, durch deren Erzeugung er über das bloße Leben, das »Fleisch«, die Natur triumphiert. Es ist dies das Urbild, das, bald religiös, bald philosophisch, bald künstlerisch gefaßt – ich erinnere an das Porträt der konstantinischen Zeit mit den starr ins Unendliche blickenden Augen;
dieser Blick repräsentiert das
πνευμα–, allem Ichgefühl zugrunde liegt. Plotin und Origenes haben so empfunden. Paulus unterscheidet (z.B. 1. Kor. 15, 44) zwischen σωμα ψυχικονund σωμα πνευματικον. Der Gnosis war die Vorstellung einer doppelten, leiblichen oder geistigen Ekstase und die Einteilung der Menschen in niedere und höhere, Psychiker und Pneumatiker, geläufig. Plutarch hat die in der spätantiken Literatur verbreitete Psychologie, den Dualismus von νουσ und ψυχη, orientalischen Vorbildern nachgeschrieben. Man setzte ihn alsbald zu dem Gegensatz von christlich und heidnisch, Geist und Natur in Beziehung, aus dem dann das noch heute nicht überwundene Schema der Weltgeschichte als eines Dramas der Menschheit zwischen Schöpfung und Jüngstem Gericht, mit einem Eingreifen Gottes als Mitte, bei Gnostikern, Christen, Persern und Juden hervorgegangen ist.
Seine streng wissenschaftliche Vollendung erfährt das magische Seelenbild in den Schulen von Bagdad und
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