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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Wachseins: der Unterschied von Ich und Welt, von Ich und Du, und die des Daseins: der Unterschied von Leib und Seele, von Sinnenleben und Nachdenken, von Geschlechtsleben und Empfindung gestaltend wirken. Weil es nachdenkliche Menschen sind, die darüber denken, so wird immer ein inneres
numen
: Geist, Logos, Ka, Ruach zum übrigen in Gegensatz gerückt. Wie aber Einteilung und Verhältnis im einzelnen liegen und wie man sich die seelischen Elemente vorstellt, als Schichten, Kräfte, Substanzen, als Einheit, Polarität oder Vielheit, das kennzeichnet den Nachdenkenden schon als Glied einer bestimmten Kultur. Und glaubt jemand, das Seelische fremder Kulturen aus seinen Wirkungen zu erkennen, so unterlegt er ihm das eigne Bild. Er assimiliert die neuen Erfahrungen einem
vorhandenen
System, und es ist kein Wunder, wenn er endlich ewige Formen entdeckt zu haben glaubt.
    In der Tat besitzt jede Kultur ihre eigne systematische Psychologie, so wie sie ihren eignen Stil von Menschenkenntnis und Lebenserfahrung besitzt. Und wie selbst jede einzelne Stufe, das Zeitalter der Scholastik, das der Sophistik, das der Aufklärung, ein Zahlenbild, Denkbild und Naturbild entwirft, das nur für sie paßt, so spiegelt sich endlich jedes Jahrhundert in einem eignen Seelenbilde. Der beste Menschenkenner Westeuropas irrt sich, wenn er einen Araber oder Japaner zu verstehen sucht, und umgekehrt. Aber ebenso irrt der Gelehrte, wenn er die Grundworte der arabischen oder griechischen Systeme mit den eignen übersetzt.
Nephesch
ist nicht
animus
, und
atman
ist nicht Seele. Was wir unter der Bezeichnung Wille überall entdecken, fand der antike Mensch in seinem Seelenbilde
nicht
.
    Nach allem wird man über die hohe Bedeutung der einzelnen, in der Weltgeschichte des Denkens auftauchenden Seelenbilder nicht mehr im Zweifel sein. Der antike – apollinische, dem punktförmigen, euklidischen Sein hingegebene – Mensch blickte auf seine Seele wie auf einen zur Gruppe schöner Teile geordneten Kosmos. Plato nannte sie νουσ, θυμοσ, επιθυμια und verglich sie mit Mensch, Tier und Pflanze, einmal sogar mit dem südlichen, nördlichen und hellenischen Menschen. Was hier nachgebildet erscheint, ist die Natur, wie sie sich vor den Blicken antiker Menschen entfaltet: eine wohlgeordnete Summe greifbarer Dinge, denen gegenüber der Raum als das Nichtseiende empfunden wird. Wo findet sich in diesem Bilde der »Wille«? Wo die Vorstellung funktioneller Zusammenhänge? Wo sind die übrigen Schöpfungen
unserer
Psychologie? Glaubt man, daß Plato und Aristoteles sich auf die Analyse schlechter verstanden haben und etwas nicht sahen, was sich bei uns jedem Laien aufdrängt? Oder fehlt hier der Wille, weil in der antiken Mathematik der Raum, in der antiken Physik die Kraft fehlt?
    Dagegen nehme man unter den abendländischen Psychologien welche man will. Man wird immer eine
funktionale
, nie eine körperhafte Ordnung finden; y = f (x): das ist die Urgestalt aller Eindrücke, die wir von unserm Innern empfangen, weil sie unsrer Außenwelt zugrunde liegt. Denken, Fühlen, Wollen – aus dieser Dreiheit kommt kein westeuropäischer Psychologe heraus, so gern er möchte, aber schon der Streit der gotischen Denker um den Primat des Willens oder der Vernunft lehrt, daß man hier eine Beziehung zwischen
Kräften
erblickt – ob diese Lehren als eigne Erkenntnis vorgetragen oder aus Augustin und Aristoteles herausgelesen werden, ist ganz bedeutungslos. Assoziationen, Apperzeptionen, Willensvorgänge und wie die Bildelemente sonst heißen mögen, sind ohne Ausnahme vom Typus mathematisch-physikalischer Funktionen und der Form nach gänzlich unantik. Da es sich nicht um physiognomisch zu deutende Lebenszüge, sondern um »die Seele« als Objekt handelt, so ist die Verlegenheit der Psychologen wiederum das Bewegungsproblem. Es gibt für die Antike
auch ein inneres Eleatenproblem,
und in dem scholastischen Streit um den funktionalen Vorrang von Vernunft oder Wille kündigt sich die gefährliche Schwäche der Barockphysik an, zwischen Kraft und Bewegung ein zweifelfreies Verhältnis nicht finden zu können. Die Richtungsenergie wird im antiken und indischen Seelenbilde verneint – da ist alles gelagert und gerundet –, im faustischen und ägyptischen bejaht – es gibt da Wirkungskomplexe und Kraftmitten –, aber eben um dieses zeithaften Gehaltes willen gerät das zeitfremde Denken mit sich selbst in Widerspruch.
    Das faustische und das apollinische

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