Der Untergang des Abendlandes
Basra. Alfarabi und Alkindi [De Boer, Gesch. d. Philos. im Islam (1901), S. 93, 108.] haben die verwickelten und uns wenig zugänglichen Probleme dieser magischen Psychologie eingehend behandelt. Ihr Einfluß auf die junge, ganz abstrakte Seelenlehre (
nicht
das Ichgefühl) des Abendlandes darf nicht unterschätzt werden. Scholastische und mystische Psychologie haben vom maurischen Spanien, Sizilien und Orient ebensoviel Formelemente empfangen wie die gotische Kunst. Man vergesse nicht, daß das Arabertum die Kultur der gestifteten Offenbarungsreligionen ist, die sämtlich ein dualistisches Seelenbild voraussetzen. Man denke an die Kabbala und den Anteil jüdischer Philosophen an der sogenannten Philosophie des Mittelalters, d. h. zuerst des späten Arabertums und dann der frühen Gotik. Ich nenne nur ein merkwürdiges, kaum beachtetes Beispiel, das letzte: Spinoza. [Windelband, Gesch. d. neueren Philos. (1919), I, S. 208, und Hinneberg, Kultur der Gegenwart I, V (1913), S. 484.] Aus dem Ghetto stammend ist er, neben seinem persischen Zeitgenossen Schirazi, der letzte verspätete Vertreter des magischen und ein Gast in der Formenwelt des faustischen Weltgefühls. Er hat als kluger Schüler der Barockzeit seinem System die Farbe abendländischen Denkens zu geben gewußt; in der Tiefe steht er völlig unter dem Aspekt des arabischen Dualismus zweier Seelensubstanzen.
Dies ist der wahre, innere Grund, weshalb ihm der Kraftbegriff Galileis und Descartes' fehlt
. Dieser Begriff ist der Schwerpunkt eines dynamischen Universums und damit dem magischen Weltgefühl fremd. Zwischen der Idee vom Stein des Weisen – die in Spinozas Idee der Gottheit als
causa sui
versteckt liegt – und der kausalen Notwendigkeit unsres Naturbildes gibt es keine Vermittlung. Deshalb ist sein Willensdeterminismus genau der, welcher von der Orthodoxie in Bagdad verteidigt wurde – »Kismet« –, und dort hat man die Heimat des Verfahrens »
more geometrico
« zu suchen, das dem Talmud, Awesta und dem arabischen Kalaam gemeinsam ist, in Spinozas Ethik aber innerhalb
unsrer
Philosophie ein groteskes Unikum bildet.
Noch einmal hat dann die deutsche Romantik dies magische Seelenbild flüchtig heraufbeschworen. Man fand an Magie und den krausen Gedankengängen gotischer Philosophen den gleichen Geschmack wie an den Kreuzzugsidealen der Klöster und Ritterburgen und vor allem auch an sarazenischer Kunst und Poesie, ohne von diesen entlegenen Dingen eben viel zu verstehen. Schelling, Oken, Baader, Görres und ihr Kreis gefielen sich in unfruchtbaren Spekulationen in arabisch-jüdischem Stil, die man mit deutlichem Behagen als dunkel, als »tief« empfand, was sie für die Orientalen
nicht
gewesen waren, die man wohl zum Teil selbst nicht begriff und von denen man hoffte, daß sie auch vom Hörer nicht ganz begriffen werden würden. Bemerkenswert ist an dieser Episode nur der Reiz des Dunklen, den diese Gedankenkreise ausübten. Man darf den Schluß wagen, daß die klarsten und zugänglichsten Fassungen faustischer Gedanken, wie man sie etwa bei Descartes und in den Prolegomena von Kant findet, auf einen arabischen Metaphysiker denselben Eindruck des Nebelhaften und Abstrusen gemacht haben würden. Was für uns wahr ist, ist für sie falsch und umgekehrt: das gilt vom Seelenbilde der einzelnen Kulturen wie von jedem anderen Ergebnis wissenschaftlichen Nachdenkens.
3
Die Zukunft wird sich an die schwierige Aufgabe wagen müssen, in der Weltanschauung und Philosophie gotischen Stils die gleiche Sonderung der letzten Elemente vorzunehmen wie in der Ornamentik der Kathedralen und in der primitiven damaligen Malerei, die zwischen dem flachen Goldgrund und weiträumigen landschaftlichen Hintergründen – der magischen und der faustischen Art, Gott in der Natur zu sehen – noch keine Entscheidung zu treffen wagt. Es vermischen sich im frühen Seelenbilde, wie es in dieser Philosophie zum Vorschein kommt, in zaghafter Unreife die Züge christlich-arabischer Metaphysik, des Dualismus von Geist und Seele, mit nordischen Ahnungen von funktionalen Seelenkräften, die man sich noch nicht eingesteht. Dieser Zwiespalt liegt dem Streit um den Primat des Willens oder der Vernunft zugrunde, dem
Grundproblem der gotischen Philosophie
, das man bald im alten arabischen, bald im neuen abendländischen Sinne zu lösen sucht. Es ist derselbe begriffliche Mythos, welcher in stets sich ändernder Fassung den Gang unserer gesamten Philosophie bestimmt hat und diese von
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