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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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unterworfen, und die antike Verneinung des perspektivischen Hintergrundes bedeutet also auch den Mangel an »Willen«, an Herrschaftsanspruch über die Welt. Der chinesischen Perspektive fehlt wie der chinesischen Technik (Bd. II, S. 1186, Anm. 2) die Richtungsenergie, und deshalb möchte ich, gegenüber dem mächtigen Zug in die Tiefe, der
unsere
Landschaftsmalerei auszeichnet, von einer Perspektive des
tao
der Ostasiaten reden, womit ein im Bilde wirkendes, nicht mißzuverstehendes
Weltgefühl
angedeutet ist.]
    Das bringt die Tiefenperspektive der Ölmalerei zum Ausdruck, die den unendlich gedachten Bildraum vom Betrachter abhängig macht, der ihn von der gewählten Entfernung aus im wörtlichen Sinne
beherrscht
. Es ist jener Zug in die Ferne, der zum Typus der
heroischen, historisch empfundenen
Landschaft im Gemälde wie im Park der Barockzeit führt, dasselbe, was der mathematisch-physikalische Begriff des Vektors zum Ausdruck bringt. Jahrhunderte hindurch hat die Malerei leidenschaftlich nach diesem großen Symbol gestrebt, in dem alles liegt, was die Worte Raum, Wille, Kraft ausdrücken möchten. Ihm entspricht die ständige Tendenz der Metaphysik, durch Begriffspaare wie Erscheinung und Ding an sich, Wille und Vorstellung, Ich und Nicht-Ich, die sämtlich von rein dynamischem Gehalte sind, sehr im Gegensatz zur Lehre des Protagoras vom Menschen als dem
Maß, also nicht dem Schöpfer
aller Dinge, die funktionelle Abhängigkeit der Dinge vom Geist zu formulieren. Der antiken Metaphysik gilt der Mensch als Körper unter Körpern, und Erkennen ist hier eine Art von
Berührung
, die vom Erkannten zum Erkennenden hinüberging, nicht umgekehrt. Die optischen Theorien des Anaxagoras und Demokrit sind weit entfernt, dem Menschen eine Aktivität in der Sinneswahrnehmung zuzugestehen. Plato empfindet das
Ich
niemals als Mittelpunkt einer transzendenten Wirkungssphäre, wie es Kant ein inneres Bedürfnis war. Die Gefangenen in seiner berühmten Höhle sind wirklich Gefangene,
Sklaven
äußerer Eindrücke, nicht ihre Herren, von der allgemeinen Sonne beschienen, nicht selbst Sonnen, die das All durchleuchten.
    Der physikalische Begriff der Raumenergie – die gänzlich unantike Vorstellung, daß bereits die
räumliche
Distanz eine Energieform, sogar die Urform aller Energie ist, denn das ist die Grundlage der Begriffe Kapazität und Intensität – beleuchtet auch das Verhältnis des Willens zum imaginären Seelenraum. Wir fühlen, daß beides, das dynamische Weltbild Galileis und Newtons und das dynamische Seelenbild mit dem Willen als Schwerpunkt und Beziehungszentrum, ein und dasselbe bedeuten. Sie sind beide Barockgebilde, Symbole der zur vollen Reife gelangten faustischen Kultur.
    Man tut unrecht, wie es oft geschieht, den Kult des »Willens«, wenn nicht für allgemein menschlich, so doch für allgemein christlich zu halten und aus dem Ethos der früharabischen Religionen abzuleiten. Dieser Zusammenhang gehört lediglich der historischen Oberfläche an und man verwechselt die Schicksale von Worten wie
voluntas
, deren tiefsymbolischen Bedeutungswandel man nicht bemerkt, mit der Geschichte von Wortbedeutungen und Ideen. Wenn arabische Psychologen, Murtada z. B., von der Möglichkeit mehrerer »Willen« reden, von einem »Willen«, der mit dem Tun zusammenhängt, von einem andern, der ihm selbständig voraufgeht, von einem »Willen«, der überhaupt keine Beziehung zur Tat hat, der das »Wollen« erst erzeugt usw., wobei es auf die tiefere Bedeutung des arabischen Wortes ankommt, so haben wir offenbar ein Seelenbild vor uns, das der Struktur nach von dem faustischen gänzlich verschieden ist.
    Die Seelenelemente sind für jeden Menschen, welcher Kultur er auch angehört, die Gottheiten einer
inneren Mythologie
. Was Zeus für den äußeren Olymp ist, das ist für den der inneren Welt, für jeden Griechen mit vollkommener Deutlichkeit vorhanden, der νουσ, welcher über den andern Seelenteilen thront. Was für uns »Gott« ist, Gott als Weltatem, als die Allkraft, als die allgegenwärtige Wirkung und Vorsehung, das ist, aus dem Weltraum in den imaginären Seelenraum zurückgespiegelt und von uns mit Notwendigkeit als wirklich vorhanden empfunden, »Wille«. Zum mikrokosmischen Dualismus der magischen Kultur, zu
ruach
und
nephesch
,
pneuma
und
psyche
gehört mit Notwendigkeit der makrokosmische Gegensatz von Gott und Teufel, persisch Ormuzd und Ahriman, jüdisch Jahwe und Beelzebub, islamisch Allah und Iblis, dem

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