Der Untergang des Abendlandes
wecken nur
ein Wohin und Woher in der Welt des Lichtes
. Von der Welt der Witterung, in die noch der nächste Begleiter des Menschen, der Hund, seine Seheindrücke ordnet, haben wir keinen Begriff. Wir wissen nichts von der Welt des Schmetterlings, dessen Kristallauge kein Bild entwirft, nichts von der Umwelt sinnbegabter, aber augenloser Tiere.
Uns ist nur der Raum des Auges geblieben
. Und die Reste anderer Sinnenwelten, Klänge, Düfte, Wärme und Kälte, haben darin Platz gefunden als »
Eigenschaften
« und »
Wirkungen
« von Lichtdingen. Wärme geht vom gesehenen Feuer aus; die im Lichtraum erblickte Rose duftet und wir reden vom Ton einer Geige. Was die Gestirne betrifft, so beschränken sich unsre wachen Beziehungen zu ihnen darauf, daß wir sie
sehen
. Über unserm Haupte leuchten sie und ziehen ihre sichtbare Bahn. Tiere und selbst primitive Menschen besitzen ohne Zweifel von ihnen noch deutliche Empfindungen ganz andrer Art, die wir zum Teil mittelbar durch wissenschaftliche Vorstellungen, zum Teil überhaupt nicht mehr erfassen können.
Diese Verarmung des Sinnlichen bedeutet zugleich eine unermeßliche Vertiefung. Menschliches Wachsein ist nicht mehr die bloße Spannung zwischen Leib und Umwelt. Es heißt jetzt: Leben in einer rings geschlossenen Lichtwelt. Der Leib bewegt sich
im
gesehenen Raum. Das Tiefenerlebnis ist ein gewaltiges Eindringen
in sichtbare Fernen von einer Lichtmitte aus
: es ist jener Punkt, den wir Ich nennen. »Ich« ist ein Lichtbegriff. Von nun an ist das Leben des Ich ein Leben unter der Sonne, und die Nacht dem Tode verwandt. Und daraus bildet sich ein neues Angstgefühl, das alle andern in sich aufnimmt:
die Angst vor dem Unsichtbaren
, vor dem, was man hört, fühlt, ahnt, wirken sieht, ohne es selbst zu erblicken. Tiere kennen ganz andere, dem Menschen rätselhafte Formen der Angst, denn auch die Angst vor der Stille, die urwüchsige Menschen und Rinder durch Lärm und lautes Reden unterbrechen und verscheuchen wollen, ist bei höheren Menschen im Verschwinden begriffen. Die Angst vor dem Unsichtbaren aber bezeichnet die Eigenart aller menschlichen Religiosität. Gottheiten sind geahnte, vorgestellte, erschaute Lichtwirklichkeiten. Der »unsichtbare Gott« ist der höchste Ausdruck menschlicher Transzendenz. Das Jenseits liegt dort, wo die Grenzen der Lichtwelt sind; Erlösung ist Befreiung aus dem Banne des Lichts und seiner Tatsachen.
Eben darin beruht für uns Menschen der unnennbare Zauber der Musik und ihre wahrhaft erlösende Kraft, daß sie die einzige Kunst ist, deren Mittel außerhalb der Lichtwelt liegen, welche für uns längst mit der Welt überhaupt gleichbedeutend geworden ist, so daß Musik allein uns gleichsam aus der Welt hinausführen, den stählernen Bann der Herrschaft des Lichts zerbrechen und uns die süße Täuschung einflößen kann, daß wir hier das letzte Geheimnis der Seele berühren, eine Täuschung, die darauf beruht, daß der wache Mensch von einem einzelnen seiner Sinne beständig derart beherrscht ist, daß er aus den Eindrücken seines Ohres nicht mehr eine Welt des Ohres bilden kann, sondern sie nur noch seiner Augenwelt einfügt.
Und deshalb ist menschliches Denken Augendenken, sind unsre Begriffe vom Sehen abgezogen, ist die gesamte Logik eine imaginäre Lichtwelt.
Dieselbe Verengerung und eben deshalb Vertiefung, welche alles Empfinden dem Sehen einordnet, hat die unzähligen dem Tier bekannten Arten sinnlicher Mitteilung, die wir unter dem Namen Sprache zusammenfassen, durch die eine Wortsprache ersetzt, welche
durch den Lichtraum hindurch
als Brücke der Verständigung zwischen zwei Menschen dient, die einander redend ansehen oder als Angeredete dem inneren Auge vorstellen. Die andern Arten des Sprechens von denen sich Reste erhielten, sind als Mienenspiel, Geste, Betonung längst in der Wortsprache aufgegangen. Der Unterschied zwischen allgemein tierischer Laut- und rein menschlicher Wortsprache besteht darin, daß Worte und Wortverbindungen ein Reich innerer Lichtvorstellungen bilden, das unter der Herrschaft des Auges entwickelt worden ist. Jede Wortbedeutung hat einen Lichtwert, auch wenn es sich um Worte wie Melodie, Geschmack, Kälte oder um ganz abstrakte Bezeichnungen handelt.
Schon unter höheren Tieren bildet sich infolge der Gewohnheit wechselseitiger Verständigung durch eine Sinnensprache ein deutlicher Unterschied von
bloßem
Empfinden und
verstehendem
Empfinden aus. Bezeichnen wir diese beiden Arten mikrokosmischer
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