Der Untergang des Abendlandes
Unzahl falscher Schlüsse über die Bedeutung von Sprachfunden auf die Geschicke von »Völkern«. Man denke an die Rekonstruktion der »dorischen Wanderung« aus der Verteilung der späteren griechischen Dialekte. Daraus ergibt sich die Unmöglichkeit, aus bloßen Ortsnamen, Eigennamen, Inschriften, Dialekten, der Sprachseite überhaupt auf die Geschicke der Rasseseite von Bevölkerungen zu schließen. Wir wissen von vornherein nie, ob ein Völkername einen Sprachkörper oder einen Rasseteil bezeichnet, beides oder keins von beiden, und dazu kommt noch, daß die Völkernamen und sogar die Ländernamen ihre eigenen Schicksale besitzen.
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Das Haus ist der reinste Rasseausdruck, den es überhaupt gibt. Von dem Augenblick an, wo der seßhaft werdende Mensch nicht mehr mit einem Obdach vorlieb nimmt, sondern eine feste Wohnung für sich baut, ist dieser Ausdruck vorhanden und er unterscheidet innerhalb der Rasse »Mensch«, welche dem
biologischen
Weltbilde angehört, die Menschenrassen der eigentlichen Weltgeschichte, Daseinsströme von einer viel seelenhafteren Bedeutung. Die Urform des Hauses ist durchaus gefühlt und gewachsen. Man weiß gar nichts von ihr. Wie die Schale des Nautilus, wie der Bienenstock, wie die Nester der Vögel ist sie von innerer Selbstverständlichkeit und alle Züge ursprünglicher Sitte und Form des Daseins, des Ehe- und Familienlebens, der Stammesordnung haben im Grundriß und seinen Haupträumen, Diele, Halle, Megaron, Atrium, Hof, Kemenate, Gynaikeion ihr Ebenbild. Man braucht nur die Anlage des altsächsischen und des römischen Hauses zu vergleichen, um zu fühlen, daß die Seele dieser Menschen und die Seele ihres Hauses ein und dasselbe sind.
Die Kunstgeschichte hätte sich dieses Gebietes nie bemächtigen sollen. Es war ein Irrtum, den Bau des Wohnhauses für einen Teil der Baukunst zu halten. Diese Form ist aus der dunklen Gewohnheit des Daseins, nicht für das Auge entstanden, welches Formen im Licht sucht, und kein Architekt hat je daran gedacht, die Raumverteilung des Bauernhauses wie die eines Domes zu behandeln. Diese bedeutsame Grenze der Kunst ist der Forschung entgangen, obwohl gelegentlich Dehio [Gesch. d. Deutsch. Kunst (1919), S. 14 f.] bemerkt, daß das altgermanische Holzhaus nichts mit der späteren großen Architektur zu tun habe, die ganz unabhängig davon entstanden sei. Deshalb besteht eine immerwährende methodische Verlegenheit, welche die Kunstwissenschaft wohl empfunden, aber nicht begriffen hat. Sie bringt in allen Vor- und Frühzeiten unterschiedslos Geräte, Waffen, Keramik, Gewebe, Grabstätten und Häuser und zwar sowohl der Form als der Verzierung nach zusammen und gewinnt erst mit der
organischen
Geschichte der Malerei, Plastik und Architektur, also der in sich geschlossenen Sonderkünste, festen Boden. Aber hier scheiden sich klar und deutlich zwei
Welten
, die des Seelen
ausdrucks
und die der Ausdrucks
sprache
für das Auge. Das Haus und ebenso die völlig unbewußten Grund-, d.h.
Gebrauchs
formen der Gefäße, Waffen, Kleidung und Geräte gehören zur Totemseite. Sie kennzeichnen nicht einen Geschmack, sondern die Kampfweise, Wohnweise und Arbeitsweise. Jedes ursprüngliche Sitzgerät ist der Abdruck einer rassemäßigen Körperhaltung; jeder Griff eines Gefäßes verlängert den
bewegten
Arm. Die Malerei und Schnitzarbeit am Hause, das Kleid als Schmuck, die Verzierung der Waffen und Geräte dagegen gehören zur Tabuseite des Lebens. In diesen Mustern und Motiven liegt für den frühen Menschen auch eine Zauberkraft. Wir kennen die Germanenklingen der Völkerwanderung mit orientalischem Ornament und die mykenischen Burgen mit minoischer Kunstarbeit. So unterscheiden sich Blut und Sinne, Rasse und Sprache –
Politik und Religion
.
Es gibt also – und das wäre eine der dringendsten Aufgaben künftiger Forschung – noch keine Weltgeschichte des Hauses und
seiner Rassen
, die mit ganz anderen Mitteln behandelt werden müßte als die Geschichte der Kunst. Das Bauernhaus ist im Verhältnis zum Tempo aller Kunstgeschichte »ewig« wie der Bauer selbst. Es steht außerhalb der Kultur und damit außerhalb der höheren Menschengeschichte; es kennt ihre örtlichen und zeitlichen Grenzen nicht und erhält sich der Idee nach unverändert durch alle Wandlungen der Baukunst,
die sich nur an ihm, nicht mit ihm vollziehen
. Die altitalische Rundhütte kennt man noch in der Kaiserzeit. [W. Altmann, Die ital. Rundbauten (1906).] Die Form des rechteckigen
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