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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Handschriftenfunden von Turfan, die seit 1903 nach Berlin gekommen sind. Damit wird endlich das fälschende, durch die ägyptischen Papyrusfunde noch gesteigerte Übergewicht des westlich-hellenistischen Stoffes aus unserem Wissen und vor allem aus unseren Erwägungen beseitigt und alle bisherigen Ansichten von Grund aus verändert. Jetzt endlich kommt der echte und fast unberührte Osten zur Geltung in all den Apokalypsen, Hymnen, Liturgien, Erbauungsbüchern der Perser, Mandäer, Manichäer und zahlloser Sekten. Das Urchristentum wird damit erst wirklich in den Kreis gerückt, dem es seinen innerlichen Ursprung verdankt. (Vgl. H. Lüders, Sitz. Berl. Akad. 1914, und R. Reitzenstein: Das iranische Erlösungsmysterium, 1921).] In den fremden Städten und an den Hochsitzen des strengen persischen und jüdischen Priestertums mochte man die Unterscheidungslehren begrifflich feststellen und um sie streiten, hier unten im Volk gab es fast keine Einzelreligion, sondern eine allgemeine magische Religiosität, die alle Seelen erfüllte, die sich an Einblicke und Bilder jedes denkbaren Ursprungs heftete. Der Jüngste Tag war nahe herangekommen. Man erwartete ihn. Man wußte, daß »er« jetzt erscheinen müsse, von dem in allen Offenbarungen die Rede war. Propheten standen auf. Man schloß sich zu immer neuen Gemeinden und Kreisen zusammen, in der Überzeugung, die angeborene Religion nun besser erkannt oder die wahre gefunden zu haben. In dieser Zeit ungeheuerster, von Jahr zu Jahr wachsender Spannung ist, ganz nahe der Geburt Jesu, neben zahllosen Gemeinschaften und Sekten auch die mandäische Erlösungsreligion entstanden, deren Stifter oder Ursprung wir nicht kennen. Wie es scheint, stand sie trotz ihres Hasses gegen den Judaismus von Jerusalem und ihrer Vorliebe gerade für die persischen Fassungen des Erlösungsgedankens dem volkstümlichen Glauben des syrischen Judentums sehr nahe. Aus ihren wundervollen Schriften tritt jetzt ein Stück nach dem andern zutage. Überall ist »er«, der Menschensohn, der in die Tiefe gesandte Erlöser, der selbst erlöst werden muß, das Ziel der Erwartung. Im Johannesbuch spricht der Vater, im Hause der Vollendung hoch aufgerichtet, von Licht umflossen, zu seinem eingeborenen Sohn: Mein Sohn, sei mir ein Bote – gehe in die Welt der Finsternis, in der es keinen Lichtstrahl gibt –; der Sohn ruft empor: Vater der Größe, was habe ich gesündigt, daß du mich in die Tiefe gesandt hast? Und endlich: Ohne Fehler stieg ich empor und nicht war Fehl und Mangel an mir. [Lidzbarski, Das Johannesbuch der Mandäer, Kap. 66. Ferner W. Bousset, Hauptprobleme der Gnosis (1907); Reitzenstein, Das mandäische Buch des Herrn der Größe (1919), eine mit den ältesten Evangelien etwa gleichzeitige Apokalypse. Über die Messiastexte, die Höllenfahrttexte und die Totenlieder: Lidzbarski, Mandäische Liturgien (1920) und das Totenbuch (vor allem das zweite und dritte Buch des linken Genza) bei Reitzenstein, Das iran. Erlösungsmysterium (vor allem S. 43 ff.).] Alle Züge der großen prophetischen Religionen und der ganze Schatz tiefster Einsichten und Gestalten, der sich seitdem in der Apokalyptik gesammelt hatte, liegen hier gemeinsam zugrunde. Von antikem Denken und Fühlen ist in diese Unterwelt des Magischen nicht ein Hauch gedrungen. Die Anfänge der neuen Religion sind wohl für immer verschollen.
Eine
geschichtliche Gestalt des Mandäertums aber tritt mit ergreifender Deutlichkeit hervor, tragisch in ihrem Wollen und Untergang wie Jesus selbst: es ist Johannes der Täufer. [Hierzu Reitzenstein, S. 124 ff., und die dort genannte Literatur.] Dem Judentum kaum noch angehörig und von einem mächtigen Hasse – er entspricht genau dem urrussischen Hasse gegen Petersburg – gegen den Geist von Jerusalem erfüllt, predigt er das Ende der Welt und das Nahen des Barnasha, des Menschensohnes,
der nicht mehr der verheißene nationale Messias der Juden, sondern der Bringer des Weltbrandes ist
. [Im Neuen Testament, das seine endgültige Fassung ganz im Gebiet westlich-antiken Denkens erhielt, wird die mandäische Religion und die ihr zugehörige Sekte der Johannisjünger nicht mehr verstanden, wie überhaupt alles Östliche hier wie versunken erscheint. Es besteht aber außerdem eine fühlbare Feindseligkeit zwischen der damals weitverbreiteten Johannisgemeinde und den Urchristen (Apostelgesch. Kap. 18–19. Vgl. Dibelius, Die urchristliche Überlieferung von Johannes dem Täufer). Die Mandäer haben das

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