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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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antiken Gefühls zu finden ist, sondern nur Namen, Bilder und äußere Formen, so wenig hat das germanisch-katholische Christentum des Abendlandes auch nur einen Hauch vom Weltgefühl jener Jesusreligion herübernehmen können, als es deren ganzen Bestand an Sätzen und Bräuchen übernahm.
    Während der faustische Mensch
ein Ich
ist, eine auf sich selbst verwiesene Macht, die in letzter Instanz über das Unendliche entscheidet, während der apollinische Mensch als ein
soma
unter vielen nur für sich selbst einsteht, ist der magische Mensch mit seinem geistigen Sein nur
Bestandteil eines pneumatischen Wir
, das von oben sich herabsenkend in allen Zugehörigen ein und dasselbe ist. Als Leib und Seele gehört er sich allein; aber etwas anderes, Fremdes und Höheres weilt in ihm und deshalb fühlt er sich mit all seinen Einsichten und Überzeugungen nur als Glied eines
consensus
, der als Ausfluß des Göttlichen den Irrtum, aber auch jede Möglichkeit eines wertsetzenden Ich ausschließt. Wahrheit ist für ihn etwas anderes als für uns. Alle unsre auf
eigenem Einzelurteil
beruhenden Erkenntnismethoden sind für ihn Wahnwitz und Verblendung, und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse ein Werk des Bösen, der den Geist verwirrt und über seine Anlagen und Ziele getäuscht hat. Hier liegt das letzte, uns ganz unfaßbare Geheimnis des magischen Denkens in seiner höhlenhaften Welt: die Unmöglichkeit eines denkenden, glaubenden, wissenden Ich ist die Voraussetzung aller Grundvorstellungen aller dieser Religionen. Während der antike Mensch seinen Göttern gegenübersteht wie ein Körper dem andern, während das faustische, wollende Ich in seiner weiten Welt das allmächtige Ich der ebenfalls faustischen und wollenden Gottheit überall wirken fühlt, ist die magische Gottheit jene ungewisse, rätselhafte Kraft der Höhe, die nach Gutdünken zürnt oder Gnade spendet, sich in das Dunkel herabläßt oder die Seele in das Licht hinaufhebt. An einen eigenen Willen auch nur zu denken, ist sinnlos, denn »Wille« und »Gedanke« im Menschen sind schon Wirkungen der Gottheit auf ihn. Aus diesem unerschütterlichen Urgefühl, das sich durch alle Bekehrungen, Erleuchtungen und Grübeleien nur in seinem Ausdruck, nicht in seiner Art verändern läßt, ist mit Notwendigkeit die Idee des göttlichen Mittlers entsprungen, dessen, der diese Lage aus einer Qual in eine Seligkeit verwandelt, eine Idee, die alle magischen Religionen zusammenfaßt und sie von den Religionen aller andern Kulturen trennt.
    Die Logosidee im weitesten Sinne ist, abgezogen aus dem magischen Lichtempfinden der Höhle, dessen genaues Seitenstück im magischen Denken. Sie bedeutet, daß von der unerreichbaren Gottheit sich ihr Geist, ihr »Wort« als Träger des Lichts und Bringer des Guten löst und in Beziehung zum menschlichen Wesen tritt, um es emporzuheben, zu erfüllen, zu erlösen. Dies Unterschiedensein dreier Substanzen, das ihrem Einssein im religiösen Denken nicht widerspricht, ist bereits den prophetischen Religionen bekannt. Ahura mazdas lichtschimmernde Seele ist das Wort (Jascht 13, 31) und sein heiliger Geist (
spenta mainyu
) unterredet sich in einem der ältesten Gathas mit dem bösen Geiste (
angra mainyu
, Jasna 45, 2). Die gleiche Vorstellung durchzieht das ganze altjüdische Schrifttum. Wie der Gedanke bei den Chaldäern in der Trennung von Gott und seinem Wort und in der Gegenüberstellung von Marduk und Nabu ausgebildet ist und dann in der gesamten aramäischen Apokalyptik mit Macht hervorbricht, so ist er dauernd wach und schöpferisch geblieben, ist über Philo und Johannes, Marcion und Mani in die talmudischen Lehren und von da in die kabbalistischen Bücher Jezirah und Sohar, in die Konzile und die Schriften der Kirchenväter, in das spätere Awesta und endlich in den Islam eingegangen, wo Mohammed allmählich zum Logos geworden ist und als der mystisch gegenwärtige,
lebende
Mohammed der Volksreligion mit der Christusgestalt verschmilzt. [M. Horten, Die religiöse Gedankenwelt des Volkes im heutigen Islam (1917), S. 381 ff. Von den Schiiten ist der Logosgedanke auf Ali übertragen worden.] Diese Vorstellung ist dem magischen Menschen so selbstverständlich, daß sie sogar die streng monotheistische Fassung des ursprünglichen Islam durchbrochen hat und neben Allah als das Wort Gottes (
kalimah
), der heilige Geist (
ruh
) und das »Licht Mohammeds« erscheint.
    Denn für die Volksreligion ist das erste aus der Weltschöpfung

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